Der Schweizer Botschafter Urs Schmid gibt ein Interview für das Portal Serbinfo.ch

10.03.2021

Der neu ernannte Schweizer Botschafter in Serbien Urs Schmid kommentiert im exklusiven Interview für das Portal Serbinfo.ch die ersten Eindrücke in Belgrad und die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Serbien.

(Intervju ambasadora Švajcarske u Srbiji za portal „Serbinfo")

Schweizerischer Botschafter S.E. Urs Schmid
Schweizerischer Botschafter S.E. Urs Schmid ©Schweizerische Botschaft in Serbien

Ihre Exzellenz, wir gratulieren Ihnen zu Ihrem neuen Posten als Schweizer Botschafter in Belgrad. Sie haben in den grössten Metropolen der Welt gelebt und gearbeitet. Wie ist Ihr erster Eindruck von Belgrad? Verdient die Stadt ihren Rufnamen als «Metropole des Balkans»?

Belgrad wird seinem Ruf als «Metropole des Balkans» absolut gerecht. Zwar haben die Restriktionen im Zusammenhang mit COVID-19 meinem Entdeckungsdrang bislang Grenzen gesetzt, doch die Grösse und Vielfalt der Stadt, die allgemeine Betriebsamkeit und die rege Bautätigkeit sind beeindruckend. Es ist eine Stadt, die sich im Aufbruch befindet. Angenehm ist auch die Freundlichkeit und Zuvorkommenheit der Bevölkerung, die einem das Einleben in dieser Stadt erleichtern. Ich freue mich sehr darauf, Belgrad in den nächsten Jahren in all seinen Facetten kennenzulernen. Und am meisten freue ich mich auf den Austausch mit den Menschen.

Sie kommen aus dem Osten aus Kasachstan in den Westen nach Serbien. War das Ihr Wunsch?

Ich bin meiner Regierung dankbar, dass sie mir die Verantwortung für die Vertretung der Schweiz in Serbien anvertraut hat. Dies entsprach auch meinen Wünschen. Ich war noch nie auf dem Balkan und Serbien spielt eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung dieser Region. Serbien und die Schweiz verbinden sehr gute Beziehungen und viele Gemeinsamkeiten. Beide Länder sind Binnenländer, ähnlich in Bezug auf Grösse und Einwohnerzahl. Beide Länder vereinen innerhalb ihrer Grenzen unterschiedliche Kulturen und beide sind stolz auf ihre Traditionen. Ein wichtiges Fundament der bilateralen Beziehungen sind insbesondere die menschlichen und persönlichen Beziehungen. Die bedeutende serbische Diaspora in der Schweiz dient als wichtige Brückenbauerin zwischen den beiden Ländern. Ich freue mich darauf, zusammen mit meinem Team auf der Schweizer Botschaft an einer weiteren Vertiefung unserer bilateralen Beziehungen auf politischer wie wirtschaftlicher Ebene zu arbeiten.

Stellt eine diplomatische Tätigkeit auf dem Balkan eine Herausforderung für einen Schweizer Diplomaten dar?

Tatsache ist, dass die Schweiz in dieser Region eine starke Präsenz hat und dass sie sich auf vielfältige Weise zugunsten von Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung einsetzt. Durch seine geografische Lage und sein wirtschaftliches Potential kommt Serbien eine herausragende Rolle für die friedliche Entwicklung der gesamten Region zu. Seit 30 Jahren unterhalten die Schweiz und Serbien eine enge bilaterale Kooperation, auf deren Grundlage die Schweiz Beiträge leistet mit dem Ziel, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken und die wirtschaftliche Entwicklung Serbiens zu fördern.

Schaut man sich das 20. Jhd. an, so hat Serbien eine sehr «interessante» Geschichte, angefangen mit den Balkankriegen, ersten und zweiten Weltkrieg, Kommunismus und dann wieder Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, vor gerade 20 Jahren. In dieser Zeit hat die Schweiz ihr politisches System nicht verändert und hat immer noch 7 Bundesräte. Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Serbien in politischer Hinsicht? Hätten die letzten Balkankriege verhindert werden können mit dem staatspolitischen Aufbau eines jugoslawischen Staates nach schweizerischem Vorbild?

Eine solche Analogie scheint mir zu undifferenziert. Sie trägt der unterschiedlichen Geschichte und Entwicklung der beiden Staaten zu wenig Rechnung. Der Westbalkan hat in der Tat eine sehr bewegte, jüngere Vergangenheit hinter sich. Der Zusammenbruch Jugoslawiens, die damit verbundenen Kriege und das verursachte Leid in der Zivilbevölkerung sind Traumata, die bis heute nachwirken. Diese Vergangenheit zeigt uns, dass Kriege keine Konflikte zu lösen vermögen. Sie hinterlassen stets ein schwieriges Erbe für nachfolgende Generationen, dessen Überwindung viel Zeit benötigt. Die Schweiz darf sich glücklich schätzen, von den grossen Kriegen des 20. Jahrhunderts in Europa verschont geblieben zu sein. Das ist ein unglaubliches Privileg. Es gibt aber keine Garantie, dass dies in Zukunft so bleiben wird: Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Frieden und Stabilität sind Errungenschaften, die stets aufs Neue verteidigt werden müssen. Es scheint mir wichtig, sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein und daraus zu lernen. Ebenso wichtig scheint mir aber, vorwärts zu schauen und die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Nebst all den Unterschieden, was die Vergangenheit anbelangt, sehe ich insbesondere hinsichtlich der Herausforderungen der Zukunft viele Anknüpfungspunkte zwischen der Schweiz und Serbien: die Bewältigung der andauernden COVID-19-Pandemie, die wirtschaftliche Erholung, die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft, die Digitalisierung, der Umgang mit dem Klimawandel. All diese Herausforderungen eröffnen Chancen für eine Zusammenarbeit, denn die meisten können letztlich nur gemeinsam gemeistert werden.

Die Schweiz hat 7 Ministerien, Serbien weiterhin mehr als 20. Ist das der Grund für die Effizienz der Schweizer Administration? Was kann Serbien in dieser Hinsicht von der Schweiz lernen?

Es ist schwierig, zwei Verwaltungen zu vergleichen, die eine unterschiedliche historische Entwicklung hinter sich haben und die sich auf unterschiedlich strukturierte Staatswesen beziehen. Das schweizerische Staatswesen basiert auf Föderalismus und Subsidiarität, also der Einsicht, dass Probleme oft am besten auf der Stufe gelöst werden können, die am nächsten bei der Lebensrealität der Menschen ist. Dieser „bottom-up-Ansatz“ ist typisch schweizerisch. Ebenso die Einsicht, dass eine effiziente Verwaltung möglichst transparent sein soll und die Zivilgesellschaft in die Entscheidfindung und Lösung von Problemen einbeziehen soll. Mit unserem Kooperationsprogramm in Serbien unterstützen wir unter anderem auch den Aufbau einer wirksameren und bürgernahen lokalen Verwaltung. Eine effiziente und transparente Verwaltung ist nicht nur wichtig, um den Menschen die Teilnahme an demokratischen Prozessen zu ermöglichen – und damit die Demokratie an sich zu stärken – sondern sie begünstigt auch die Ansiedlung wirtschaftlicher Tätigkeiten und trägt deshalb zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Wohlstandsförderung bei.

Die Schweizer Regierung hilft mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit der Digitalisierung von Gemeindebehörden in Serbien. Werden Sie die Hilfe weiterführen? Haben Sie vielleicht neue Prioritäten?

Die Schweiz treibt die Digitalisierung der Gemeindeverwaltungen in Serbien aktiv voran. Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der Digitalisierung vor Augen geführt. Dank Schweizer Unterstützung haben serbische Bürger/Innen nun einfacheren Zugang zu lokalen Dienstleistungen und können z.B. ihre Grundstücksteuer direkt online und von zu Hause aus begleichen. Dank der Digitalisierung der Arbeit von Gemeindeparlamenten sinken die Druckkosten für Dokumente und die Sitzungen können in Zeiten von COVID-19 auch von zu Hause aus fortgesetzt werden. Zudem können die Bürger/Innen sowie die Medien die Arbeit des Gemeindeparlaments online mitverfolgen und dadurch mehr Einfluss ausüben. Die Digitalisierung macht Lokalverwaltungen nicht nur zugänglicher und effizienter, sondern erhöht auch deren Transparenz und mindert dadurch das Risiko von Korruption.

In der Schweiz lebt eine grosse Anzahl von Serben und jedes Jahr wächst die Zahl von Schweizern mit serbischen Wurzeln. Auf welche Art und Weise können diese Serbien noch effizienter helfen?

Ich bin davon überzeugt, dass die serbische Diaspora in der Schweiz eine wichtige Rolle in den Beziehungen unserer beiden Länder spielt. Menschen mit serbischen Wurzeln dienen als Brückenbauer, als Vermittler zwischen unseren beiden Kulturen, und sie vermögen das Beste aus beiden Erfahrungswelten zusammenzubringen. Die Bedeutung der Diaspora geht längst über den Aspekt der finanziellen Überweisungen an Familienangehörige im ehemaligen Heimatland hinaus. Heute sehen wir wie serbische Bürger/Innen in der Schweiz oder Schweizer/Innen mit serbischen Wurzeln oft am Anfang eines Entscheides einer Schweizer Firma stehen, in Serbien zu investieren oder sich in verschiedenster Weise in Serbien engagieren und den Austausch zwischen den beiden Ländern fördern.

Die jetzige Herausforderung ist die Corona-Pandemie. Nach dieser wird wieder die Aufmerksamkeit auf die europäische Integration Serbiens und die Lösung des Kosovo-Konflikts gerichtet sein. Wir sind Zeugen eines «neuen» Krieges im Kaukasus wegen nicht gelösten territorial Fragen nach dem Fall des Kommunismus. Hat die Schweiz nach dem frühen Entscheid einer Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos die Macht und Glaubwürdigkeit verloren, um beim Lösen oder Vermitteln des immer noch nicht gelösten Konflikts zu helfen?

Die von Ihnen angesprochene Herkulesaufgabe der Pandemiebewältigung zeigt eindrücklich auf, dass solche Herausforderungen keinen Halt vor Grenzen machen. Sie zeigen viel mehr auf, dass es trotz politisch unterschiedlicher Positionen letztlich keine Alternative zur regionalen und internationalen Zusammenarbeit gibt. Die Schweiz begrüsst in diesem Zusammenhang die politischen Initiativen in Richtung regionaler Integration, wovon es mehrere Beispiele gibt. Die Schweiz unterstützt auch den Dialog über die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina mit konkreten Beiträgen, indem sie beispielsweise Gelegenheiten für den direkten Austausch zwischen politisch engagierten Menschen auf beiden Seiten schafft. Wie Sie anmerken, besteht immer die Gefahr, dass ungelöste Konflikte wieder aufbrechen können und zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Wir können es uns nicht leisten, mit solchen Sicherheitsrisiken auf unserem Kontinent zu leben. Deshalb betreibt die Schweiz eine aktive Friedenspolitik, auch auf dem Westbalkan. Unsere Anerkennung des Kosovo als eigenständigen Staat schmälert unseres Erachtens nicht die Glaubwürdigkeit unseres Handelns. Im Gegenteil, unser langjähriges Engagement sowohl in Kosovo, wie in Serbien, zur Unterstützung von Reformen zur Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der wirtschaftlichen Entwicklung, hat unsere partnerschaftliche Beziehung zu beiden Ländern gefestigt. Sowohl was unser Kooperationsprogramm anbelangt, als auch den Umfang der Direktinvestitionen gehört die Schweiz zu den wichtigsten Partnern Serbiens. In einigen Bereichen wie z.B. der Berufsausbildung, der Digitalisierung oder der Förderung von Start-ups hat die Schweiz für Serbien sogar Modellcharakter.

Serbien ist wie die Schweiz militärisch neutral. Sehen Sie Möglichkeiten einer Zusammenarbeit in diesem Gebiet?

Die schweizerische und die serbische Neutralität weisen wichtige Unterschiede auf. Die Schweiz gilt mindestens seit dem Wiener Kongress von 1815 als dauernd neutral. Dieser völkerrechtliche Status der Schweiz wird von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt. Dahinter steht die Einsicht, dass diese Neutralität zum Frieden und zur Sicherheit in Europa beiträgt. Die dauernde, bewaffnete Neutralität ist daher ein Grundsatz der schweizerischen Aussenpolitik. Die serbische Neutralität stützt sich bis anhin auf einen jüngeren Entscheid der serbischen Politik. Die Zukunft wird zeigen, welche Gestalt diese serbische Neutralität annehmen wird und welche Auswirkungen diese Konzeption auf die regionale Sicherheit haben wird. Gemeinsamkeiten bestehen aber aufgrund der Tatsache, dass sowohl die Schweiz als auch Serbien nicht Mitglied der NATO sind, sich aber sicherheitspolitisch innerhalb der NATO-Partnerschaft für den Frieden engagieren. Beide Staaten sind aktive Mitglieder der OSZE und haben in den vergangenen Jahren durch die Übernahme des Vorsitzes dieser Organisation (Schweiz 2014, Serbien 2015) eine besondere sicherheitspolitische Verantwortung für den europäischen Kontinent wahrgenommen. Letztlich eint uns das Interesse an einem friedlichen und stabilen Europa.

Die serbische Gesellschaft ist in vielen Gebieten stark gespalten, wie in Serbien so auch in der Schweiz. In dieser Jahreszeit lautet oft die Gretchenfrage Fondue oder Raclette. Analog dazu: Was schmeckt Ihnen besser, Burek mit Käse oder mit Hackfleisch?

Ich hoffe, Sie gestehen mir aufgrund meiner relativ kurzen Zeit hier in Belgrad zu, dass ich mich in dieser Frage noch nicht festgelegt habe. Im Allgemeinen ziehe ich Käse dem Hackfleisch vor, da ich aber kräftige und aromatische Speisen liebe, fällt meine Wahl heute auf Burek mit Hackfleisch.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung zu den von Ihnen erwähnten Differenzen in der Gesellschaft: es zeichnet offene Gesellschaften aus, dass über viele Fragen kontrovers und engagiert diskutiert wird. Bei allem, was uns trennt, sollten wir aber immer auch daran denken, was uns als Gesellschaften eint und mindestens gleich viel Zeit und Aufwand darauf verwenden. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist gerade in Zeiten von stärkerer Polarisierung ein unschätzbarer Wert, dem wir Sorge tragen sollten.


Intervju ambasadora Švajcarske u Srbiji za portal „Serbinfo“