Die Bilder in Haiti nach dem Hurrikan Matthew wecken schmerzhafte Erinnerungen an das Erdbeben von 2010. Tausenden von Personen fehlt es an Wasser, Nahrungsmitteln und Unterkünften. Die Schweiz hat unverzüglich Expertinnen und Experten mobilisiert, die eine Bedarfsabklärung vornehmen und lebensnotwendige Güter verteilen.
Hurrikan Matthew in Haiti: das Engagement der Schweiz
Am Dienstag, 4. Oktober 2016, sind Windböen mit gemessenen Geschwindigkeiten von über 250 km/h über den Südwesten von Haiti gefegt. Sie haben schwere Schäden angerichtet und hunderten Todesopfer gefordert. Die anschliessenden sintflutartigen Regenfälle, die zu Überschwemmungen und Erdrutschen führten, haben die Situation weiter verschärft. Gestützt auf erste Einschätzungen hat die Humanitäre Hilfe der DEZA beschlossen, ihre Hilfseinsätze auf zwei Bereiche zu konzentrieren: die Trinkwasserversorgung und die Errichtung von Notunterkünften.
Operationsbasis in Port-Salut
Mehrere Detachemente des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe haben die Schweiz ab Freitag, 7. Oktober 2016, nach der Wiedereröffnung des Flughafens von Port-au-Prince in Richtung Haiti verlassen. Diese Fachpersonen in den Bereichen Notunterkünfte, Trinkwasser und Sanitärversorgung, Logistik, Sicherheit und Telekommunikation arbeiten bei der Unterstützung der notleidenden Bevölkerung zusammen. Die Soforteinsatzteams errichteten ihre Operationsbasis in Port-Salut, einer Stadt an der Südwestküste des Landes, die vom Hurrikan hart getroffen wurde. Experten für Logistik sind in der benachbarten Dominikanischen Republik stationiert, um dort lebensnotwendige Güter zu beschaffen, die in den verwüsteten Gebieten nicht erhältlich sind.
Haiti ist ein Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit der DEZA. Deshalb kann bei den Soforthilfeaktionen auf mehrere ständige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kooperationsbüros vor Ort zurückgegriffen werden. Ebenfalls im Einsatz stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweizer Botschaft in Haiti. Die Koordination der Hilfsmassnahmen mit den haitianischen Behörden wird durch die Schweizer Vertretung sichergestellt.
Zugang zu Trinkwasser und Notunterkünfte
Die Expertinnen und Experten der Humanitären Hilfe der DEZA konzentrieren sich auf zwei Bereiche: die Verteilung von Trinkwasser, was auch zur Bekämpfung der Choleraausbreitung beiträgt, und die Unterbringung der betroffenen Bevölkerung.
Die Mitglieder des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe errichteten im ersten Monat eine mobile Wasseraufbereitungsanlage in Port-Salut, mit der 1600 Personen pro Tag versorgt werden können.
In den Ortschaften Côteaux, Roche-à-Bateau und Port-Salut wurden Trinkwassertanks für 13’000 Personen aufgestellt. Weitere 8700 Personen wurden mit einem Tanklastwagen versorgt.
Zudem unterstützt die Humanitäre Hilfe der DEZA die Wiederherstellung von vier öffentlichen Wassersystemen, die insgesamt 24’000 Menschen versorgen.
Um der Choleraausbreitung vorzubeugen, lieferte die Schweiz 40 WATA-Geräte zur Produktion von Chlor und verteilte 290’000 Wasserreinigungstabletten für 55’000 Personen.
7750 Planen, 3400 Wellblechplatten sowie Werkzeug und Befestigungsmaterial wurden verteilt, so dass sich rund 60’000 Menschen vor dem Regen schützen können.
200 Blechplatten wurden für die Instandstellung eines Schuldachs geliefert. Davon profitieren drei Klassen.
In sieben Ortschaften erhielten die Bewohner ein kleines Entgelt, wenn sie bei der Räumung der Zufahrtsstrassen und der Verteilung der Hilfsgüter mithalfen. Nach dem gleichen Prinzip wurden sie auch für die Wiederherstellung des Ufers eines Flusses mobilisiert.
An den Nothilfemassnahmen in den ersten zwei Monaten nach dem Hurrikan waren rund dreissig Expertinnen und Experten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe beteiligt. Die Humanitäre Hilfe der DEZA stellte 3,3 Millionen Franken für die Nothilfe zur Verfügung. Diese Summe umfasst die Beiträge an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften und das Welternährungsprogramm (WFP). Das WFP erhielt 1,2 Millionen Franken für die Verteilung von Nahrungsmitteln in schwer zugänglichen Gebieten. Zudem unterstützte eine Schweizer Expertin das WFP bei der Umsetzung eines Bargeldprogramms.
Sturmsichere Schulen
Die von der DEZA nach dem Erdbeben von 2010 geleistete Arbeit in Haiti im Bereich der Katastrophenprävention zeigt heute Wirkung: Die Schulen, die nach den von der DEZA entwickelten Musterplänen gebaut wurden, haben den Wirbelsturm überstanden. Sie dienten auch als Schutzunterkünfte für die Bevölkerung während des Sturms und auch danach. Dadurch konnten wahrscheinlich Menschenleben gerettet werden.
Rehabilitation
Die DEZA wird ihr Engagement im Zusammenhang mit dem Hurrikan Matthew noch drei bis vier Monate weiterführen. Dabei kombiniert sie humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe. Die DEZA hilft lokalen Organisationen, die Lebensgrundlagen der bäuerlichen Landbevölkerung zu sichern, die infolge des Hurrikans alles verloren hat. In diesem Rahmen werden insbesondere Nutztiere und Saatgut verteilt. Die DEZA hilft zudem den Behörden, ein Dutzend Schulen, die vom Hurrikan getroffen wurden, notdürftig instand zu stellen. Die Schweizer Botschaft in Haiti und das angegliederte Kooperationsbüro koordinieren das Engagement in dieser Rehabilitationsphase.
Haiti ist ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Das DEZA-Büro in Port-au-Prince, das sich in normalen Zeiten für die Trinkwasserversorgung, die Ernährungssicherheit und die Katastrophenvorsorge einsetzt, unterstützt nun die Schweizer Expertinnen und Experten, die nach dem Hurrikan Matthew nach Haiti entsandt worden sind.
Herr Botschafter, mit welchen Schwierigkeiten sind die in Port-Salut im Einsatz stehenden Schweizer Expertinnen und Experten konfrontiert?
Der Zugang zu den Katastrophengebieten ist sehr schwierig, da die Strassen kaum mehr passierbar sind. Zudem sind viele Häuser zerstört, so dass wir für die Expertinnen und Experten Unterbringungsmöglichkeiten suchen mussten. Dank den Verbindungen der Botschaft konnten wir die in der Region lebenden Schweizerinnen und Schweizer kontaktieren, die sich bereit erklärten, mehrere Mitglieder unserer Teams aufzunehmen. Zurzeit ist die Sicherheit in Port-Salut kein Problem, aber die Lage könnte sich verschärfen, wenn in den am stärksten betroffenen Gebieten nicht rasch Nothilfe geleistet wird.
Welche Rolle spielen die Schweizer Botschaft und das ihr angeschlossene Kooperationsbüro in Haiti in der aktuellen Krise?
Die Botschaft verfügt über sehr gute Kenntnisse des haitianischen Kontexts, über ein grosses Beziehungsnetz und logistische Kapazitäten, die in der derzeitigen Notsituation sehr nützlich sind. So können Autos, Chauffeure, aber auch anderes Material bereitgestellt werden. Neben dem Fachwissen, das das DEZA-Büro in mehreren wichtigen Bereichen (humanitäre Hilfe, Wiederaufbau, Zugang zu Wasser, Ernährungssicherheit) aufweist, steht es im Rahmen der verschiedenen Programme bereits in Kontakt mit den lokalen Behörden mehrerer Gebiete, die von der Katastrophe betroffen sind. Dies ist sehr hilfreich. Ausserdem präsidiert die Schweiz ein Gremium zur Abstimmung der Entwicklungszusammenarbeit der Partner in Haiti. Wir haben eine ausserordentliche Sitzung einberufen, um in Erfahrung zu bringen, welche Projekte in den betroffenen Gebieten bereits bestehen und zum Wiederaufbau des Landes beitragen könnten. Ziel ist es, der haitianischen Regierung konkrete Handlungsvorschläge zu unterbreiten.
Hat die haitianische Regierung im Vergleich zur Desorientierung, die sich im Jahr 2010 nach dem letzten Erdbeben beobachten liess, anders auf die Katastrophe reagiert?
Hier handelt es sich um zwei ganz verschiedene Katastrophen. Das Erdbeben von 2010 hat die Hauptstadt Port-au-Prince stark verwüstet. Viele nationale Institutionen waren zerstört, was die Steuerung der Operationen durch die Behörden erschwerte. Heute, nach dem Hurrikan Matthew, sind die Behörden gut aufgestellt und wollen ihre Verantwortung wahrnehmen.
Wie ist es zu erklären, dass die Zahl der Opfer und der materielle Schaden durch den Hurrikan Matthew in Kuba kleiner waren als in Haiti?
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass der haitianische Zivilschutz eine bemerkenswerte Evakuierungsarbeit geleistet hat. Ohne diese wäre die Zahl der Opfer noch viel höher ausgefallen. Zudem ist der Hurrikan mit unerhörter Gewalt – mit Windstärken bis zu 250 km/h – über Haiti gefegt. Die Zahl der Toten und die Verwüstungen sind auch auf die extreme Armut der Bevölkerung und die Fragilität der Institutionen des Landes zurückzuführen. Die meisten Familien wohnen aus finanziellen Gründen nicht in einem Haus aus Zement. Und es gibt nur wenige sichere Orte, die der Bevölkerung bei einem Tropensturm oder einem Hurrikan Zuflucht bieten. Aufgrund des dünnen Netzes an qualitativ guten Strassen kann die Bevölkerung ausserhalb der städtischen Gebiete nicht erreicht werden. Kuba hingegen verfügt seit Jahren über ein vorbildliches System zur Verhütung und Bewältigung von Naturkatastrophen. Natürlich wäre es wünschenswert, dieses gute Beispiel in die anderen Länder der Region übertragen zu können.