Akteurinnen und Opfer: Frauen und Mädchen in der humanitären Krise im Jemen

Am 16. März 2022 richteten die Schweiz und Schweden eine hybride Geberkonferenz zur humanitären Krise im Jemen aus. Die Konferenz wurde von UNO-Generalsekreär António Guterres eröffnet. Bundespräsident Ignazio Cassis sagte im Namen der Schweiz 14,5 Millionen Franken zur Unterstützung der humanitären Hilfe zu.

Bundespräsident Ignazio Cassis hält eine Rede an der Jemen-Geberkonferenz.

Bundespräsident Ignazio Cassis zeigte sich überzeugt, dass den von der Krise im Jemen betroffenen Menschen geholfen werden muss. © EDA

Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Jahr 2015 hat sich die Situation im Jemen zu einer der grössten humanitären Krisen der Welt entwickelt. Über 20 Millionen Menschen, das heisst zwei Drittel der jemenitischen Bevölkerung, sind unmittelbar auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der Jemen leidet ausserdem unter einer massiven Migrationskrise: Das Land zählt 4 Millionen Binnenvertriebene mit katastrophalen Auswirkungen auf die Gesundheits- und Ernährungssituation sowie auf die Schulbildung. Der wirtschaftliche Niedergang und der Zerfall der Institutionen haben zu einer Schwächung der öffentlichen Dienstleistungen und zu einer Verknappung zahlreicher lebensnotwendiger Güter geführt. Weil bei den Kämpfen auch medizinische Einrichtungen angegriffen werden, ist die Gesundheitsversorgung praktisch lahmgelegt. Zwei Millionen Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, und in mehr als einem Drittel aller Bezirke des Landes droht Ernährungsunsicherheit. 

An der UNO-Geberkonferenz zur humanitären Krise im Jemen vom 16. März 2022 bekräftigte Bundespräsident Ignazio Cassis die Unterstützung der Schweiz zugunsten der jemenitischen Bevölkerung.

Langfristiges Engagement

An der Geberkonferenz, die von der schwedischen und der schweizerischen Regierung gemeinsam geleitet und in Zusammenarbeit mit dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) durchgeführt wurde, sammelte die teilweise vor Ort vertretene internationale Gemeinschaft finanzielle Mittel für humanitäre Hilfsmassnahmen zugunsten der von der Krise betroffenen Menschen.

Wir müssen nicht nur sicherstellen, dass die humanitäre Hilfe über ausreichend Mittel verfügt. Wir müssen auch dafür sorgen, dass unsere Hilfe so schnell wie möglich ankommt bei denen, die sie benötigen.
Ignazio Cassis

Das Engagement der Schweiz ist langfristig angelegt. In diesem Jahr werden 14,5 Millionen Franken für die humanitäre Hilfe im Jemen bereitgestellt. Während der letzten sechs Jahre belief sich der Beitrag der Schweiz insgesamt auf 86,9 Millionen Franken. Bundespräsident Ignazio Cassis, der von Bern aus an der Konferenz teilnahm, zeigte sich überzeugt, dass den von der Krise im Jemen betroffenen Menschen geholfen werden muss. «Wir müssen nicht nur sicherstellen, dass die humanitäre Hilfe über ausreichend Mittel verfügt. Wir müssen auch dafür sorgen, dass unsere Hilfe so schnell wie möglich ankommt bei denen, die sie benötigen», sagte er.

Ziel der Geberkonferenz war es, die Öffentlichkeit auf die Verschlechterung der Lage der Menschen im Jemen aufmerksam zu machen. Zudem ging es dieses Jahr darum, die Rolle der Frauen als Akteurinnen des Wandels in der Jemen-Krise hervorzuheben.

Frauen und Mädchen vor dem Hintergrund der Krise

Von Frauen geführte Haushalte sind generell stärker von Ernährungsunsicherheit betroffen und haben weniger Zugang zu humanitärer Hilfe, vor allem ausserhalb ihrer Gemeinschaft. Der siebenjährige Konflikt hat die Mechanismen zum Schutz vor Gewalt geschwächt, sodass Frauen und Mädchen deutlich höheren Gefahren ausgesetzt sind.

Dieses Thema stand im Mittelpunkt des von Schweden und der Schweiz organisierten Side-Events «Yemeni Women in the Humanitarian Response: Challenges, Needs and Opportunities» (Jemenitische Frauen in der humanitären Hilfe: Herausforderungen, Bedürfnisse und Chancen). Der Anlass fand einige Stunden vor der Geberkonferenz statt.

Ziel der hochrangigen Diskussion war es, die wichtige Rolle der jemenitischen Frauen hervorzuheben. Jemenitinnen sind zentrale Akteurinnen, wenn es darum geht, einen Paradigmenwechsel in der Jemen-Krise einzuleiten. Daher lassen sich die humanitären Auswirkungen der Krise nur lindern, wenn die Frauen stärker in die humanitäre Hilfe einbezogen werden. 

Zwei Männer halten ein Kind an der Hand, weil es nicht allein gehen kann.
Samir (60 Jahre alt), rechts, hilft seinem Nachbarn M., der an deformierten Knochen leidet, beim Gehen. © Medair

Trinkwasser für Berggemeinden – das Engagement der Schweizer Hilfsorganisation Medair

Die Trinkwasserversorgung ist für viele Menschen im jemenitischen Hochland ein wachsendes Problem. So ist die einzige Trinkwasserquelle eines Dorfs im Bezirk Al Dhale’e seit mehr als fünfzehn Jahren verunreinigt. Der Ausbruch der Krise im Jahr 2015 hat die Situation nicht verbessert.

Der Fluoridgehalt liegt zehn- bis fünfzehnmal über dem für Menschen zulässigen Richtwert. Die Familien haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie geben einen Grossteil ihres Einkommens für sauberes Wasser aus weit entfernten Dörfern aus oder sie trinken das belastete lokale Wasser. Da die grosse Mehrheit der Bevölkerung arbeitslos ist, bleibt ihnen meist nur die zweite Möglichkeit.

Eine erhöhte Fluoridaufnahme über einen längeren Zeitraum kann schädliche Auswirkungen auf das Knochengewebe haben. Besonders gefährdet sind Kinder, deren Knochen und Zähne sich noch in der Entwicklung befinden. Eine schlechte Ernährung kann das Problem verschärfen. Die Schweizer Hilfsorganisation Medair setzt sich seit mehreren Jahren für die betroffene Bevölkerung im jemenitischen Hochland ein. Ihre Arbeit wird unter anderem durch Spenden von Geberkonferenzen wie denjenigen in Genf gefördert.

Vor Kurzem wurde ein alter Brunnen entdeckt, dessen Fluoridwerte angeblich unbedenklich sind. Medair ist derzeit daran, den Brunnen zu sanieren, damit die Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser versorgt werden kann. Aber die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. 

Wie trägt die Schweiz zur Eindämmung der Krise bei?

Die Krise ist von Menschen verursacht, was einerseits traurig ist, andererseits aber eine Lösung nicht ausschliesst. In der Region des Mittleren Ostens und Nordafrikas (MENA) sind neben dem Jemen auch andere Länder von schweren bewaffneten Konflikten betroffen, was zu einem starken Wiederanstieg der Armut und sozialer Ungleichheiten sowie einem partiellen oder totalen Zerfall der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit führt. Vor diesem Hintergrund wurde die gesamte Region in der Aussenpolitischen Strategie der Schweiz 2020–2023 als Schwerpunktregion definiert.

Die Schweiz geniesst in der MENA-Region einen ausgezeichneten Ruf. Als neutrales Land und Expertin der guten Dienste übernimmt sie zurzeit eine führende Vermittlerrolle bei internationalen Streitigkeiten und trägt dazu bei, dass der Dialog zwischen den Konfliktparteien aufrechterhalten bleibt. Im Jemen unterstützt die Schweiz den von der UNO geführten Friedensprozess.

In ihrer MENA-Strategie 2021–2024 legt die Schweiz den Fokus im Jemen auf zwei prioritäre Themenbereiche. Sie will einerseits Frieden und Sicherheit wiederherstellen sowie die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten und andererseits die Massnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ausbauen. Die Schweiz führt ihr humanitäres Engagement in den Bereichen Wasser, sanitäre Anlagen, Hygiene und Ernährungssicherheit fort. Schliesslich setzt sie sich dafür ein, dass alle am Konflikt beteiligten Parteien das humanitäre Völkerrecht beachten.

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