30.08.2021

25.08.2021: Schlussrede Staatssekretärin Livia Leu - Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Botschafterin, Herr Botschafter
Liebe Kolleginnen und Kollegen /chèr(e)s collègues, care et cari colleghe

Es freut mich, die diesjährige Botschafterkonferenz nach drei Tagen intensiver Diskussionen abschliessen zu dürfen. Sie wurde aufgrund der Umstände wieder einmal in einem kleineren Rahmen durchgeführt, und ich habe sehr positive Rückmeldungen erhalten zu diesem Format.

Zuallererst aber möchte ich Ihnen sowie allen Mitarbeitenden an der Zentrale und im Ausland für ihren engagierten Einsatz im vergangenen Jahr herzlich danken. Es war erneut ein Jahr unter erschwerten Bedingungen und ich bin mir bewusst, dass viele von Ihnen zusammen mit Ihren Begleitpersonen und Familien in herausfordernden Kontexten leben und arbeiten. Grossen Dank für Ihre Führungsleistung und Ihren motivierten und kompetenten Einsatz!

Ich möchte meine Gedanken zum Abschluss der BoKo mit zwei Zitaten beginnen, einem mit deskriptivem und einem mit normativen Charakter. Von Heraklit stammen die berühmten zwei Worte «panta rhei», alles fliesst. Erich Kästner, der deutschsprachige «Voltaire» des 20. Jahrhunderts, hat seine Philosophie fast ebenso kurz gefasst: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es». Diese beiden Zitate entsprechen der Struktur meiner heutigen Ausführungen. In einem ersten Teil möchte ich mich mit der Ausgangslage befassen, mit der die Schweiz und ihre Aussenpolitik konfrontiert sind. Im zweiten Teil möchte ich mich der Frage zuwenden, was sein soll, und was zu tun ist.

Teil I
Panta rhei. Die alten Griechen wussten es bereits und auch wir sehen es täglich: Alles ist in einem ständigen Prozess des Werdens und Wandelns, die Welt verändert sich kontinuierlich.

a. In globaler Sicht
Das philosophische Flussgleichnis hat in unserer Zeit einen von Heraklit nicht vorhergesehen, wortwörtlichen Ausdruck erhalten in den Hochwassern und Unwettern, die gehäuft in allen Weltregionen auftreten. Der rasante Klimawandel und der dramatische Verlust an Biodiversität sind komplexe Entwicklungen mit globalen Dimensionen. Die damit einhergehenden Krisen und Katastrophen zeigen aber, dass diese stets auch lokale Auswirkungen haben und die Menschen ganz direkt betreffen. Ein nachhaltigerer Umgang mit unserem Planeten und seinen Ressourcen muss zwingend zu den Kernthemen unserer Aussenpolitik gehören und deren Rahmen abstecken (Stichwort Agenda 2030). Die internationale Gemeinschaft ist dabei als Ganze gefordert. Unser Land mit seiner herausragenden Expertise in Wissenschaft und Technologie kann einen aktiven Beitrag dazu leisten.

Nicht mit derselben Vorankündigung wie derjenigen des Weltklimarats (IPCC), aber auch nicht gänzlich überraschend, hat uns vor bald 2 Jahren die Covid-Pandemie erreicht. Seither haben sich auf der ganzen Welt mehr als 200 Mio. Menschen mit dem Sars-Cov-2 Virus infiziert, fast 4,5 Mio Menschen haben ihr Leben verloren. Jedes Land hat eigenständig – nationalstaatlich - auf den Ausbruch der Krankheit reagiert, zumindest zu Beginn meist ohne internationale Absprachen. Grenzen wurden geschlossen, landesinterne Massnahmen unterschiedlicher Ausprägung ergriffen.

Im Aussennetz haben Sie teilweise sehr schwierige, angespannte Situationen erlebt. Und auch im Inland wurden Massnahmen getroffen, die wir uns vorher nicht vorstellen konnten. Aber das Virus kennt keine Grenzen – sogar dann, wenn man diese schliesst - und so ist auch die Bewältigung der COVID-19-Krise eine weltweite Aufgabe.

Die öffentlichen Haushalte vieler, wenn nicht aller Staaten sind durch die Pandemie unter Druck geraten, die Weltwirtschaft wurde geschwächt. Die Folgen zeigen sich in der Armutsstatistik: gemäss der Weltbank hat die extreme Armut in der Welt im Jahr 2020 nach mehr als 2 Jahrzehnten zum ersten Mal wieder zugenommen. Zudem generiert das Coronavirus neue Ungleichheiten, beispielsweise bei den weltweit sehr unterschiedlichen Impfquoten.

Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hat kurzfristig auch einen positiven Nebeneffekt, der gut die Wechselwirkungen verschiedener Phänomene aufzeigt: der energiebedingte Treibhausgasausstoss ist weltweit um 7%, die landwirtschaftsbedingten Emissionen um 2% gesunken. Im Rahmen ihrer COVID-19-Konjunkturpakete haben die OECD-Länder und ihre wichtigsten Partner bisher mehr als 330 Mrd. Franken für umweltfreundliche Massnahmen vorgesehen. Dies ist grundsätzlich erfreulich, auch wenn es lediglich 17 % des Gesamtumfangs dieser Pakete entspricht.

Neben der Bekämpfung der Pandemie selber streben Regierungen in erster Linie einen robusten Wiederaufschwung ihrer Wirtschaft an. Die bevorstehenden politischen Richtungsentscheide werden bestimmend dafür sein, ob unsere Welt in Zukunft umweltverträglicher, inklusiver und krisenresistenter sein wird.

Als dritten Aspekt des globalen Wandels, der gleichzeitig den Fokus dieser Botschafterkonferenz bildete, möchte ich die Digitalisierung nennen. Alles fliesst auch in diesem Bereich – was bei Heraklit noch ein gemächlicher Bach war ist zu einem reissenden Strom angeschwollen. Wir sehen, dass sich vor unseren Augen der Wandel exponentiell beschleunigt. In 20 Jahren – vielleicht bereits früher – werden wir in einer Welt leben, deren Facetten wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Auch werden langfristige, strukturelle Tendenzen verschärft: der sogenannten digital divide wird grösser. Digitalisierung wird dabei häufig mit Tools gleichgesetzt und die Verantwortung in die IT-Abteilung abgeschoben. Das greift zu kurz. Bei der Digitalen Transformation steht weniger „digital“ im Vordergrund als Transformation. Auch die Diplomatie ist gefordert, sich auf diese neue, digitale Welt einzustellen. Ich komme darauf zurück.

b. Auch auf der geopolitischen Ebene ist der Wandel allgegenwärtig:
Seit einigen Jahren beobachten wir den Aufstieg Chinas und die zunehmende Rivalität zwischen den Grossmächten. Kurz: Wir erleben ein Wiedererstarken der Grossmachtpolitik. Auch Europa und damit die Schweiz befinden sich in diesem geostrategischen Spannungsfeld. Vielerorts werden das Regierungssystem der Demokratie und die Rechtstaatlichkeit zunehmend und grundsätzlich in Frage gestellt. Westliche Werte sind stärker unter Druck als vor zehn oder 20 Jahren. Das macht die Verteidigung unserer Interessen anspruchsvoller.
Parallel zum Aufstieg Chinas verändert sich die Rolle der USA in der Welt. Die Tendenz zum Rückzug, auch aus der Nachbarschaft Europas, ist in den letzten Jahren deutlich geworden.

In dramatischer Weise manifestiert sie sich aktuell im Abzug der USA aus Afghanistan. Seit der Ankündigung eines straffen Zeitplans haben sich die Entwicklungen überstürzt; innert weniger Tage haben die Taliban das entstehende Vakuum gefüllt und die Kontrolle im Land übernommen – notabene praktisch kampflos. Keiner der grossen Geheimdienste hat diese rasante Entwicklung klar genug vorhergesehen.

Die USA und die NATO sehen sich mit einer verheerenden Bilanz ihrer 20-jährigen Mission am Hindukusch konfrontiert. Aber auch wir sind zusammen mit vielen anderen Ländern betroffen und müssen uns die Frage nach dem Sinn unseres jahrelangen Engagements vor Ort – in unserem Fall immerhin eine halbe Milliarde CHF seit 2002 – stellen. In grösster Eile werden nun die Vertretungen geschlossen und - mit etwas Glück und Unterstützung - die eigenen BürgerInnen sowie die afghanischen Mitarbeitenden ausser Landes gebracht.

Dank einem eigentlichen Kraftakt unseres KMZ, ist es gelungen, alle Mitarbeitenden unseres DEZA-Büros, SchweizerInnen wie AfghanInnen mitsamt ihren Familien, rechtzeitig vor dem definitiven Abzug der US Truppen in die Schweiz zu transferieren. Unterstützt wurden sie durch Sondereinsatzkräfte des VBS, unseren Vertretungen in den umliegenden Ländern sowie den deutschen und amerikanischen Einheiten am Flughafen Kabul. Wir sind sehr erleichtert und sehr dankbar!

In schonungs- und beispielloser Klarheit wird hier sichtbar, dass eine veränderte strategische Interessenausrichtung Folgen weit über die Grenzen eines betroffenen Landes hinaus hat. Akute Krisen sowie chronische Schwächen in anderen Weltregionen entfalten Wirkungen auch in Europa. Mit dieser Herausforderung wird sich auch unsere Aussen- und Innenpolitik auseinandersetzen müssen.

Auch innerhalb Europas ist vieles in Bewegung. Die innereuropäischen Beziehungen zu Russland sind seit der Annexion der Krim und der anhaltenden Krise in der Ukraine von Spannungen gekennzeichnet. Innerhalb der EU hat der Brexit Unruhe und Veränderungen mit sich gebracht, wovon nicht zuletzt auch unsere Europapolitik direkt betroffen ist – dieses Thema werde ich etwas später vertiefen.
c. Auch bei uns im EDA ist vieles im Fluss.

Im Departement haben wir seit Anfang Jahr eine neue Struktur mit einem konsolidierten Staatssekretariat. Wie jede Veränderung braucht auch diese eine gewisse Zeit der Anpassung und Gewöhnung für die Betroffenen. Insgesamt hat sich die Neuorganisation – die im Kern eine gewisse Rückkehr zu bewährten Strukturen darstellt - in ihren ersten Monaten bewährt und wir sind gut aufgestellt für die Arbeit, die auf uns wartet. In einem nächsten Schritt plant nun die DEZA eine grössere Reorganisation.

Wir reagieren in unserer Aussenpolitik auch auf die technologische Entwicklung mit einem neuen Schwerpunkt, der sich in der Struktur niederschlägt: die Digitalisierung. Seit Juli ist die neue Abteilung Digi operationell. Ergänzt wird sie durch ein verstärktes Engagement und der Ernennung eines Sonderbotschafters für die Wissenschaftsdiplomatie. Diese Agilität ist wichtig, damit unsere Diplomatie in diesen Bereichen in Zukunft an vorderster Front mitspielen kann. Im Rahmen der UNO konnten wir dies bereits in den letzten Jahren erfolgreich unter Beweis stellen.

Soviel zum dynamischen Rahmen, in dem sich die Schweiz und ihre Diplomatie bewegen. Pantha rei.

Teil II

Ich komme nun zum zweiten Teil meiner Ausführungen, die ich, wie erwähnt, unter Kästners Zitat: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es» stelle. Auch hier möchte ich drei Schwerpunkte setzten.

1. Erstens: unsere Positionierung im Spannungsfeld der Grossmachtpolitik

Ich habe vorhin vom Wiedererstarken der Grossmachtpolitik gesprochen. Die Positionierung der Schweiz ist gerade in einer Zeit, in der sich das globale Gleichgewicht verändert, unverzichtbar. Sie wird im Spannungsfeld zwischen USA-China-Russland aber auch zunehmend anspruchsvoller.

Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Es ist deshalb entscheidend, sich vor jedem unserer Positionsbezüge ein ganzheitliches Bild der betroffenen Interessen zu machen. Diese stehen oft in einem gewissen Widerspruch zueinander und sind deshalb gut gegeneinander abzuwägen. Ziel ist es, unsere Eigenständigkeit in der vernetzten Welt von heute so zu gestalten, dass wir unsere Interessen - die materiellen wie die immateriellen – bestmöglich wahren können. Dazu gehört selbstverständlich immer auch der Blickwinkel unserer Europapolitik. 
Um diese unablässige Folge unserer Positionierung zu verdeutlichen, möchte ich nachfolgend ein paar unterschiedliche Aspekte davon beleuchten:

i. In einigen Bereichen mit wiederkehrenden Entscheiden von grösserer Bedeutung wurde zur Sicherstellung dieser Interessenabwägung ein geordneter Prozess institutionalisiert. Dieser soll gewährleisten, dass die notwendige Auslegeordnung gemacht und die entsprechende Diskussion zwingend geführt wird.

Ein gutes Beispiel ist das Thema Wirtschaftssanktionen, welche in der jüngeren Vergangenheit eine globale Hochkonjunktur erlebt haben. Um eine sorgfältige Positionierung der Schweiz in diesen stets hochpolitischen Fragen sicherzustellen, hat der Schweizer Gesetzgeber im Embargogesetz klare Entscheidkriterien und –abläufe festlegt: demnach ist vor einer Übernahme neuer unilateraler Sanktionen unserer wichtigsten Wirtschaftspartner - konkret ist das stets die EU - zwingend eine umfassende Abwägung unserer wirtschaftlichen, rechtlichen und aussenpolitischen Interessen vorzunehmen, und dies auf der Stufe des Bundesrates. So ist sichergestellt, dass alle relevanten Punkte diskutiert werden, bevor der bedeutende Schritt der Sanktionierung eines anderen Landes beschlossen – oder eben darauf verzichtet wird.

In einem ähnlichen Geist, aber um einiges flexibler, hat das EDA die Entscheidfindung für die UNO-Gremien, etwa den Menschenrechtsrat, organisiert. Mit der Hilfe von CH@world wurde früh schon ein digitales Tool kreiert, das den Einbezug der verschiedenen interessierten Akteure der Bundesverwaltung erleichtert, sodass alle wichtigen Aspekte einer Frage in unsere Haltung einfliessen können. Dieses Instrument wird auch bei unserem Einsitz im Sicherheitsrat wichtig sein.

In einem weiteren Sinn dienen auch unsere Strategien diesem Ziel, indem sie einen Rahmen für unsere Positionen definieren. So legt etwa die Chinastrategie unsere teilweise gegensätzlichen Interessen gegenüber diesem wichtigen Land offen dar und zeigt damit die Grenzen auf, innert denen unsere Positionierung zu erfolgen hat. Sie legt damit die Basis für eine kohärente Aussenpolitik.

ii. Ein zweiter Aspekt betrifft die traditionellen Guten Dienste der Schweiz. Allen Unkenrufen zum Trotz bleibt die Nachfrage hoch. Das Schweizer Engagement für die Friedensförderung und ihre Rolle als Brückenbauerin im internationalen Spannungsfeld sind anerkannt und das besondere Profil unseres Land bleibt nachhaltig attraktiv. Dies ist ein wichtiger Beitrag der Schweiz zur Internationalen Solidarität, der gepflegt und fortgeführt werden muss.

Um diese Aufgabe wahrnehmen zu können, ist unsere Eigenständigkeit zentral. Wir können nicht glaubhaft vermitteln, wenn wir selber Partei sind oder uns der Position einer Partei anschliessen. Das Fehlen einer kolonialen Vergangenheit und einer versteckten Agenda helfen uns dabei ebenso wie unsere Neutralität. Diese bilden die Grundlage für kohärente, unabhängige Positionen im Einzelfall.

Als Highlight sei bei diesem Thema das kürzliche Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Biden und Putin erwähnt. Es ist kein Zufall, dass dieses in unserem Land stattfand. Als diskrete, professionelle Gastgeberin trug die Schweiz dazu bei, den Dialog zwischen den zwei Grossmächten in Fragen von globaler Bedeutung zu fördern. Gleichzeitig gelang es, Friedens- und bilaterale Interessenpolitik zu verbinden: der Bundespräsident und unser Departementsvorsteher nutzten den Anlass auch als Chance zu bilateralen Gesprächen mit den beiden Präsidenten.

Die Schweiz, ganz besonders Genf, bleibt ein wichtiger Ort des Friedens und der Diplomatie, wo regelmässig schwierige Verhandlung geführt werden. Die Beispiele des Schweizer Engagements als Gaststaat sind vielfältig, aktuell etwa der UNO-Friedensprozess für Syrien, wo seit Oktober 2019 sechs Sitzungen des Verfassungsausschusses in Genf stattgefunden haben. 

Oder Libyen: wo letztes Jahr in Genf ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den beiden Konfliktparteien unterzeichnet und wenige Monate später eine neue Übergansregierung gewählt wurden. Dank ihrer aktiven Rolle im Berliner Prozess hat die Schweiz einen Beitrag zu diesen Fortschritten geleistet, insbesondere in ihrer Rolle als Vorsitzende der Arbeitsgruppe humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte. 

Auch in Europa engagiert sich die Schweiz in schwierigen Beziehungen für den Frieden, etwa mit unseren Schutzmachtmandaten zwischen Russland und Georgien. Oder in der Ukraine: nächstes Jahr soll die Ukraine-Reformkonferenz in Lugano stattfinden.

iii. Unterstützt wird unsere Positionierung in der Welt - und das möchte ich als dritten Aspekt nennen – durch die Universalität unserer Beziehungen. Die Tatsache, dass die Schweiz gute Beziehungen zu allen Staaten unterhält, ist ein wichtiger Pfeiler unserer Glaubwürdigkeit. Wir sprechen mit allen und pflegen einen offenen, kritischen Dialog. Dabei hilft uns natürlich auch unser breites Netz von Vertretungen, das auch immer wieder an sich wandelnde Gegebenheiten angepasst wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich die geplante Aufwertung des Kooperationsbüros in Mali zu einer Botschaft und die vorgesehene Ernennung zweier Sondergesandter, je einer für die Sahelzone und für das Horn von Afrika, nennen. Die Schweiz stärkt damit ihre Präsenz und ihre politische Kompetenz in zwei von Instabilität und Gewalt geprägten Regionen. Dies ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Kandidatur der Schweiz im Sicherheitsrat eine lohnende Investition.

Mit unserer Afrikastrategie haben wir zudem den Rahmen und die Ziele gesteckt, welche die Schweiz auf diesem wichtigen Kontinent in den nächsten Jahren verfolgen wird.

Die Schweiz verändert ihr Aussennetz aber auch zu weniger politischen Zwecken, etwa zur Förderung der Wissenschaftsdiplomatie. So soll die Eröffnung eines neuen Swissnex-Standorts im japanischen Wirtschaftshub Osaka dazu beitragen, Projekte zwischen Forschungseinrichtungen, Universitäten und Start-ups beider Länder weiter zu begünstigen. Dies ist ein positives Signal für unsere zukunftsgerichtete Diplomatie in den dynamischen und innovativen Ländern Asiens.

Zu unseren grossen Assets gehört natürlich auch das internationale Genf, auch wenn dieses selbstverständlich nicht zum Aussennetz im eigentlichen Sinn zählt. Neben dessen traditionellen Schwerpunkten soll dieses in Zukunft auch ein Zentrum für die digitale Gouvernanz und Wissenschaftsdiplomatie werden. GESDA – Geneva Science and Diplomacy Anticipator – arbeitet bereits in diese Richtung. So ist auch Genf Teil des kontinuierlichen Wandels und der Positionierung.

Damit komme ich zum zweiten meiner drei Schwerpunkte, einem wichtigen, ja historischen Projekt:

2. Die Schweizer Kandidatur für den UNSR

Mit unserer Kandidatur wollen wir unsere unabhängige Rolle noch vermehrt in den Dienst der internationalen Gemeinschaft stellen. Nach 20 Jahren Mitgliedschaft möchte die Schweiz auch im höchsten UNO-Organ ihren Beitrag zur Förderung der friedlichen Koexistenz der Nationen leisten.

Unsere Kandidatur wird mit der Wahl im Juni nächstes Jahr in der Generalversammlung in New York – hoffentlich - ihren Abschluss finden. Ich danke Ihnen bereits jetzt für Ihren Einsatz in den nächsten Monaten bis zur Wahl. Im Austausch mit meinen Amtskolleginnen und -kollegen rund um die Welt höre ich viel Zuspruch für unsere Kandidatur und bin deshalb zuversichtlich, dass wir ein gutes Ergebnis erzielen werden (und dies nicht nur, aber natürlich auch dank des «clean-slate»).

Unser Ziel für den Einsitz ist, ein glaubwürdiges und aktives Mitglied quer über die ganze Bandbreite der Agenda des Sicherheitsrats zu sein. Dabei sind verschiedene Prioritäten unserer Aktion im Sicherheitsrat denkbar, von der Ressourcenknappheit als Konfliktursache im Kontext von Klimawandel und abnehmender Biodiversität; bis zum Themenkomplex Frauen, Frieden und Sicherheit. Wir haben dazu gestern eine kleine slido-Auswertung gemacht.

Im Sinne der Interessenabwägung, die ich vorhin angesprochen habe, ist zu sagen: Eine friedliche, auf Rechtsstaatlichkeit beruhende globale Ordnung ist von grosser Bedeutung für unser Land, dessen export-orientierte Wirtschaft auf offene Märkte mit klaren Regeln angewiesen ist. Frieden und Stabilität sind für Prosperität und Entwicklung unerlässlich, deshalb müssen wir uns konstant dafür engagieren.
Dies führt mich zu meinem dritten Punkt.

3. Unser Verhältnis zur EU

Die Schweiz und die EU sind erstklassige Partnerinnen in einer vielfältigen Beziehung, von der beide Seiten profitieren. Das erste bilaterale Abkommen und die Basis unserer Wirtschaftsbeziehungen, das Freihandelsabkommen, wurde vor bald einem halben Jahrhundert abgeschlossen.

Nach der Beendigung der Verhandlungen über das InstA richten wir unseren europapolitischen Blick nach vorne. Der Entscheid des Bundesrates gegen das institutionelle Abkommen war ein Nein zu diesem spezifischen Projekt, nicht aber ein Nein zu unserer Partnerschaft mit der EU. Der Bundesrat möchte im Gegenteil den bilateralen Weg auf der Grundlage der existierenden Abkommen erhalten und erneuern. Dieser ist ganz klar für beide Seiten vorteilhaft.

Als Basis dafür schlägt der Bundesrat der EU einen strukturierten, hochrangigen politischen Dialog vor. Eigentlich sollte ein solches Gefäss fast eine Selbstverständlichkeit sein zwischen so wichtigen Partnerinnen und doch wurde es bisher nie ernsthaft lanciert. Dieser Dialog soll das ganze Themenspektrum der bilateralen Zusammenarbeit abdecken, vom Funktionieren der bilateralen Abkommen bis zur Aussenpolitik. In dessen Rahmen sollen eine gemeinsame Agenda der künftigen Beziehungen entwickelt und Probleme pragmatisch gelöst werden.

Der politische Dialog ist ein Angebot der Schweiz an die EU. Wir sind keine Bittsteller: die Schweiz ist eine attraktive Partnerin und hat viel zu bieten, nur schon im Bereich der Personenfreizügigkeit: Fast 1.5 Millionen EU/EFTA-Bürgerinnen und -Bürger leben in der Schweiz – dreimal mehr als Schweizer/innen in der EU und rund 17% der Schweizer Gesamtbevölkerung.

Dazu kommen fast 340'000 Grenzgänger pro Tag und mehr als 200'000 grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer pro Jahr. Die EU hat also durchaus auch Interesse an einem Dialog mit der Schweiz.

Der Bundesrat möchte die negative Dynamik, mitverursacht insbesondere durch politische Verknüpfungen, durchbrechen, und damit auch Bewegung in anderen Dossiers ermöglichen.  Deshalb setzt er sich beispielsweise für die rasche Freigabe des 2. Schweizer Beitrages ein, der Ball liegt nun beim Parlament.

Wir sollten nicht vergessen, dass uns viel mit der EU und ihren Mitgliedstaaten verbindet: wir teilen Werte, Sprachen, Kultur und auch die Geografie. Auf der internationalen Bühne sind wir sehr oft like-minded. Auch in Bezug auf globale Herausforderungen ist die Zusammenarbeit mit der EU für uns bedeutend.

Von ganz besonderem Gewicht ist für die Schweiz dabei die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten, von denen vier auch EU-Mitglieder sind. Wir haben es gerade am Anfang der Pandemie gesehen: Die Grenzregionen sind eng miteinander verbunden und bleiben wirtschaftlich zentral – auch in der globalisierten Welt ist geographische Nähe offensichtlich ein Plus.

Die Schweiz bleibt ein europäisches Land und ist gleichzeitig ein Globaler Player, der sich am internationalen Wettbewerb orientieren muss. Wir pflegen gute Beziehungen mit allen Staaten und internationalen Organisationen. Zwar bleibt die EU unsere bedeutendste Handelspartnerin, aber der Anteil aussereuropäischer Länder an unserem Gesamthandel ist in den letzten Jahren gewachsen. Dies nicht zuletzt dank dem Netz von Freihandelsabkommen, das stetig erweitert worden ist.

Damit komme ich zum Fazit meiner Rede.

Teil III: Fazit

1. Erstens: Die Schweiz ist gut aufgestellt:

Wir haben Trümpfe in der Hand, um unsere Interessen zu verteidigen. So nimmt die Schweiz weltweit Spitzenpositionen ein in den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Forschung und Innovation.

Nicht zuletzt aufgrund dessen hat die Schweizer Wirtschaft die Pandemie gut überstanden. Es war keine einfache Zeit und viele Menschen wurden hart getroffen. Aber wir erholen uns und unsere Wirtschaft hat sich einmal mehr als widerstands- und anpassungsfähig erwiesen.

Unsere Wissenschaft gehört zur Weltklasse, wir beheimaten Top Institutionen.

Auch die Schweizer Diplomatie ist gut aufgestellt und bringt einen entscheidenden Mehrwert für unser Land: dank einem weltumspannenden Vertretungsnetz haben wir unsere Antennen in allen Ländern. Die aussenpolitische Strategie, aber auch die traditionellen Prinzipien wie die Universalität, Neutralität und Eigenständigkeit sind wichtige Leitplanken unseres aussenpolitischen Handelns. Ebenso massgebend ist das Prinzip der Solidarität. Die Entwicklungen in Afghanistan führen uns erneut vor Augen, dass wir auf die Solidarität unserer Partnerländer angewiesen sind, beispielsweise für die Evakuierung unserer Mitarbeitenden und Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Im Gegenzug zeigt sich auch die Schweiz immer wieder solidarisch; ich denke an die zahlreichen Lieferungen von Covid-Material oder die Aufnahme von Covid-Patienten in den letzten Monaten.

2. Zweitens: Unsere Eigenständigkeit und Offenheit sind unsere Stärke

Die Schweiz ist global vernetzt und offen. Als Land im Herzen Europas, aber auch mit dem Rest der Welt verbunden. Vernetzung und Zusammenarbeit mit dem Ausland sind in unserem Interesse. Unser Land ist für seinen Wohlstand entscheidend auf den internationalen Handel angewiesen.

Diese Vernetzung und Offenheit bedürfen einer politischen Eigenständigkeit, die flexible und unabhängige Positionierungen erlaubt. Wir müssen jede Situation, jede Positionierung umfassend abwägen und uns nicht unbesehen Vorgaben anschliessen, die unsere Handlungsfähigkeit – etwa als Brückenbauerin – einengen.

3. Drittens: Beitrag des EDA

Aussenpolitik ist Interessenpolitik – ich wiederhole mich. Das EDA nimmt eine zentrale Rolle bei der Koordination der Interessenwahrung der Schweiz ein. Der whole of government approach ist wichtig und zugleich anspruchsvoll. Wenn es uns gelingt, die aussenpolitische Kohärenz herzustellen, als Land geeint zu stehen und breit abgestützte Positionen zu vertreten, profitiert die Schweiz. Ein gutes Beispiel dafür sind die Arbeiten rund um die Beziehungen Schweiz–UK nach dem Brexit, die Mind the Gap-Strategie. Wir haben dafür in den letzten Jahren mit der gesamten Bundesverwaltung und mit Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich zusammengearbeitet. Ein ähnliches Vorgehen kann auch in der Europapolitik einen Mehrwert generieren.

Aussenpolitik ist aber auch Innenpolitik, wie unser Departementchef zu sagen pflegt. Das sieht man besonders gut bei der Europapolitik, die innenpolitisch mitunter recht emotional sein kann. Umgekehrt kommt die Schweizer Europapolitik selbstredend auch nicht ohne Europa aus.
Die Bedeutung der Aussenpolitik für den Wohlstand und die Sicherheit unseres Landes hat zugenommen. Vieles, das unser Wohlergehen betrifft, passiert jenseits der Schweizer Grenzen. Und bei vielen Herausforderungen müssen Staaten heute stärker denn je zusammenarbeiten. Es ist unerlässlich, dass wir proaktiv handeln und auf internationale Debatten Einfluss nehmen und unsere Positionen auch klar kommunizieren. So können wir unsere Interessen und Werte erfolgreich verteidigen. Oder anders gesagt: Wir können es uns längst nicht mehr erlauben, die Rolle einer interessierten Zuschauerin der Weltpolitik einzunehmen.

Die Schweiz mit ihrem spezifischen staatspolitischen System der direkten Demokratie wird international nicht immer verstanden. Es gehört deshalb zu unseren Kernaufgaben als DiplomatInnen, die Eigenart unseres Landes, dessen soldarische Leistungen für die Staatengemeinschaft und dessen Melodie im Konzert der Staaten zu erklären. Wenn uns das gelingt, sind wir auch in der Lage, uns für unsere Interessen einzusetzen und global einen positiven Beitrag zu leisten. 

Eben: Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.

Gerne würde ich die beiden schönen Zitate noch mit einem dritten ergänzen, umso mehr als es im Jahr des 50jährigen Jubiläums des Frauenstimmrechts gut passt. Es stammt von der kürzlich verstorbenen amerikanischen Richterin Ruth Bader Ginsburg.

Diese Worte können auch uns bei unserer spannenden Arbeit, die Diplomatie der Schweiz, inspirieren: “Fight for the things that you care about but in a way, that will lead others to join you.”

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich danke euch nochmals ganz herzlich für Euren grossen Einsatz auf Euren Posten während des vergangenen Jahres. Ich danke Euch auch für Eure aktive Teilnahme an der diesjährigen Botschafterkonferenz. Sie werden die Quintessenzen aus den verschiedenen Ateliers schriftlich erhalten.

Ein ganz besonderer Dank geht selbstverständlich an die Kolleginnen und Kollegen, die die diesjährige Botschafterkonferenz organisiert haben – EDA Event, das Protokoll, IT EDA und mein Stab -, unter der kundigen Leitung von StV Staatssekretär Johannes Matyassy.

Jetzt freue ich mich darauf, im Rahmen des heutigen Cocktails sowie des morgigen Ausflugs des Bundespräsidenten Gelegenheit zu haben, mich mit Euch auch noch individuell auszutauschen.


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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