Was regelt Schengen genau? Was bringt der Schweiz das Schengen-Visum? Warum spricht man im Zusammenhang von Schengen auch von Dublin? Die Schweiz nimmt seit 2008 dem Schengen-Zusammenarbeit teil. Sie profitiert seither vom erleichterten Reiseverkehr und der erhöhten Sicherheitslage innerhalb des sogenannten Schengenraums. Antworten zu häufigen Fragen führen schnell zu einem besseren Verständnis darüber, was Schengen/Dublin bedeutet.
FAQ Schengen/Dublin
Worum geht es bei Schengen?
Schengen ist ein kleines Weindorf in Luxemburg und liegt an der Mosel im Dreiländereck Luxemburg-Deutschland-Frankreich. An diesem Ort haben am 14. Juni 1985 Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Belgien und die Niederlande das Schengener Übereinkommen unterzeichnet.
Schengen hat zum Ziel, den Reiseverkehr innerhalb des Schengen-Raums zu erleichtern. Reisende werden an den Grenzen zwischen den Schengen-Staaten grundsätzlich nicht mehr kontrolliert (die Schweizer Grenze stellt punkto Zollkontrollen aber einen Sonderfall dar). Reisende aus Drittstaaten (ausserhalb EU und EFTA) können während maximal 90 Tagen pro Gesamtzeitraum von 180 Tagen frei im Schengen-Raum reisen. Die beteiligten Staaten haben deshalb die Regeln für den kurzfristigen Aufenthalt («Schengen-Visum») harmonisiert. Gleichzeitig sollen verschiedene Massnahmen die innere Sicherheit gewährleisten und stärken. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam 1999 wurde der Schengen-Besitzstand in den Rechtsrahmen der EU übertragen und ist seither als Schengen-Acquis Teil des EU-Rechts.
- die Verstärkung der Grenzkontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums
- die Verbesserung der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit
- die Modernisierung des Informationsaustausches im Bereich der Personen- und Sachfahndung (sog. Schengener Informationssystem SIS)
- die gemeinsame Visumpolitik
- die Erleichterung der Rechtshilfe
- die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Drogenhandel
Mit dem Schengen-Acquis wurden auf der einen Seite die systematischen Personenkontrollen an den Binnengrenzen in der EU abgebaut, auf der anderen Seite wurden verschiedene Ausgleichsmassnahmen ergriffen, um einen hohen Sicherheitsstandard zu gewährleisten.
Hierzu gehören:
Heute nehmen – mit Ausnahme von Rumänien, Bulgarien und Zypern – grundsätzlich alle EU-Mitglieder an der Schengen-Zusammenarbeit teil. Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich verfügen aber jeweils über einen speziellen Status. Als assoziierte Drittstaaten sind auch Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz an der Zusammenarbeit beteiligt.
Das Vereinigte Königreich und Irland, welche ein gemeinsames Reisegebiet bilden, nehmen an der Visazusammenarbeit nicht teil und haben ihre Grenzkontrollen nicht abgebaut. Sie haben aber das Recht, jederzeit auch an diesen Bereichen der Zusammenarbeit teilzunehmen (sog. Opt-in-Recht). Von diesem Recht hat das Vereinigte Königreich beispielsweise 2015 Gebrauch gemacht und sich am Schengener Informationssystem (SIS) beteiligt.
Dänemark geniesst hinsichtlich eines Teils des Schengen/Dublin-Besitzstands (Visa, Asyl und Einwanderung) ein sogenanntes Opt-out-Recht. Somit entscheidet Dänemark von Fall zu Fall, an welchen Massnahmen es sich in den genannten Bereichen beteiligt.
Der Schengen-Beitritt von Rumänien, Bulgarien und Zypern dürfte in den nächsten Jahren erfolgen.
Die Schweiz nimmt seit dem 12. Dezember 2008 (an den Flughäfen seit dem 29. März 2009) operationell an der Schengen-Zusammenarbeit teil. Zuvor wurde überprüft, ob die Schweiz die Schengener Sicherheitsstandards gewährleisten kann. Der erfolgreiche Abschluss dieser sogenannten Schengen-Evaluation war Voraussetzung für die Beteiligung an der Schengen-Zusammenarbeit.
Dank des Zugriffs auf das europaweite Fahndungssystem, das Schengener Informationssystem (SIS), und der verstärkten internationalen Zusammenarbeit wirkt sich Schengen positiv auf die Sicherheit der Schweiz aus. Die Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen (in der Schweiz stellen die internationalen Flughäfen Aussengrenzen dar) sind verstärkt und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden intensiviert worden. Ausserdem werden mobile Personenkontrollen im Grenzhinterland oder im Landesinneren im Rahmen der nationalen Ersatzmassnahmen durchgeführt. Bei Grossanlässen oder einer besonderen Bedrohung können von den einzelnen Schengen-Staaten zudem immer temporär wieder systematische Personenkontrollen an der Binnengrenze eingeführt werden. Im Kontext der angespannten Migrationssituation in Europa haben verschiedene Schengen-Staaten unter grossem Druck auf diese Möglichkeit zurückgegriffen. Die Binnengrenzkontrollen dienen nicht dem Fernhalten der Migrantinnen und Migranten, sondern dem Sicherstellen ausreichender Kontrollen, um festzustellen, wer sich im Land aufhält. Auch die Schweiz kann, sollte es die Situation erfordern, jederzeit vorübergehend wieder Binnengrenzkontrollen einführen.
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU (FZA) und das am 5. Juni 2005 vom Volk angenommene Abkommen zu Schengen/Dublin (Bilaterale II) sind abgesehen von einigen technischen Links nicht rechtlich verknüpft. Das Abkommen über den freien Personenverkehr regelt den Zugang zum Arbeitsmarkt für Schweizerinnen und Schweizer in der EU und für EU-Bürgerinnen und
-Bürger in der Schweiz. Es betrifft somit den längerfristigen Arbeitsaufenthalt. Schengen hingegen regelt den Grenzübertritt und den kurzfristigen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen (bis 90 Tage).
Grenzschutz
Grundsätzlich gilt: An den Schweizer Landesgrenzen werden keine systematischen und verdachtsunabhängigen fremdenpolizeilichen Personenkontrollen allein auf Grund des Grenzübertrittes vorgenommen. Im Gegensatz zu den EU-Mitgliedstaaten werden an den Grenzübergängen der Schweiz aber weiterhin Zollkontrollen durchgeführt, da die Schweiz nicht Mitglied der EU-Zollunion ist. Im Rahmen einer solchen Zollkontrolle kann eine Person zum Selbstschutz der Grenzwächter kontrolliert werden, sofern klare Anzeichen für die Gefährlichkeit der zu kontrollierenden Person bestehen. Schliesslich kann es bei einer Person auf dem Grenzübergang zu einem polizeilichen Anfangsverdacht kommen (z. B. wenn Einbruchswerkzeug im Fahrzeug gefunden wurde), was eine polizeiliche Kontrolle nach sich ziehen kann. Nach Bedarf können die gezielten mobilen Personenkontrollen im Grenzhinterland oder im Landesinneren intensiviert werden.
Das Grenzwachtkorps kann lageabhängige (mobile) Personenkontrollen im Grenzhinterland durchführen. Diese polizeilichen Kontrollen im Landesinneren sind von der Kontrolltätigkeit auf der Grenzlinie zu unterscheiden. Die Art und Weise dieser Kontrollen im Landesinneren sind vom Schengener Durchführungsübereinkommen nicht definiert und werden heute von allen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Weise durchgeführt. So hat nicht jedes Land eine fixe Zone für solche Kontrollen bestimmt. In der Schweiz wäre z. B. die Fixierung einer allgemeinen Grenzzone von 20 km Breite aus topografischen Gründen wenig sinnvoll. Das Grenzwachtkorps hat deshalb mit mehreren Kantonen Vereinbarungen abgeschlossen, in welchen Umfang und Form der an das Grenzwachtkorps delegierten Aufgaben sowie das Einsatzgebiet festgelegt sind.
Obwohl es unter Schengen grundsätzlich keine Binnengrenzkontrollen mehr gibt, sieht der Schengener Grenzkodex bei ernsthafter Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit vor, dass einzelne Staaten vorübergehend wieder systematische Grenzkontrollen einführen können. Dies z. B. bei akuter Gefahr von Terrorismus oder bei anstehenden Grossveranstaltungen. Auf diesen Bestimmungen basieren auch die seit September 2015 von verschiedenen Schengen-Staaten, darunter auch Österreich und Deutschland, wieder eingeführten Personenkontrollen an bestimmten Grenzabschnitten.
Auch die Schweiz kann – wenn sie es für notwendig erachtet und die Voraussetzungen des Schengener Grenzkodex erfüllt sind – temporär wieder Grenzkontrollen mit einer Dauer von bis zu sechs Monaten einführen. Die Schweiz hat bisher darauf verzichtet, da die Umstände dafür nicht gegeben sind. Die Lage wird aber genau beobachtet und bei Bedarf kann diese Einschätzung angepasst werden.
Fahndungsdatenbank SIS und Polizeizusammenarbeit
Die Schengen-Staaten haben eine europaweite elektronische Fahndungsdatenbank aufgebaut, das Schengener Informationssystem (SIS). Darin können Fahndungen nach Sachen und Personen im gesamten Schengen-Raum ausgeschrieben werden. Diese rasche Verbreitung einer Fahndung in ganz Europa erhöht die Wahrscheinlichkeit, z. B. einen flüchtigen Delinquenten oder ein gestohlenes Fahrzeug aufzufinden, erheblich. Der Schweizer Zugang zum SIS wurde am 14. August 2008 in Betrieb genommen. Aus Schweizer Sicht erweist sich das SIS als sehr effizient. Durchschnittlich werden täglich über 40 Treffer erzielt.
Die Fahndungsdatenbank SIS enthält Daten über gestohlene Sachen (z. B. Autos, Waffen, Pässe), Personen, die mit einer Einreisesperre belegt sind, von der Justiz gesuchte Personen (z. B. Zeugen), vermisste Personen, Personen, gegen die verdeckt ermittelt wird, sowie zur Verhaftung zwecks Auslieferung ausgeschriebene Personen. Der grösste Teil der Einträge betrifft verlorene oder gestohlene Dokumente und gestohlene Fahrzeuge.
Es ist klar definiert, welche Angaben über Personen erfasst werden dürfen: unter anderen die Personalien, physische Merkmale, der Ausschreibungsgrund, die zu ergreifenden Massnahmen (z. B. Verhaftung oder Meldung), der Vermerk «bewaffnet» oder «gewalttätig», Bilder und Fingerabdrücke. Zur Verhaftung können Personen nur ausgeschrieben werden, wenn es um eine strafbare Handlung geht, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bestraft werden kann (z. B. schwerer Diebstahl, Drogenhandel, Mord usw.), oder wenn bereits ein Strafurteil von mindestens vier Monaten Freiheitsentzug vorliegt.
Das SIS verfügt über einen hohen internationalen Datenschutzstandard. Es besteht aus einem Zentralrechner, der in Strassburg (Frankreich) steht. Daran sind die nationalen Systeme (sog.
N-SIS, nationale Schengener Informationssysteme) angehängt. Die Einhaltung der Datenschutzregeln wird von unabhängigen Kontrollstellen auf nationaler und kantonaler Ebene überwacht: Es ist genau vorgeschrieben, welche Angaben im SIS erfasst werden dürfen. Diese sind ausschliesslich einem beschränkten Kreis von Personen zugänglich und nur für den der Ausschreibung entsprechenden Zweck. Zugriff haben nebst der Polizei und dem Grenzwachtkorps z. B. die Schweizer Auslandvertretungen, die Migrationsämter, die Staatsanwaltschaft und die Strassenverkehrsämter. Die SIS-Benutzung wird systematisch protokolliert, um Missbräuche zu verhindern. Die Polizeibeamtin auf der Strasse oder der Konsularbeamte im Ausland sehen nur, ob eine Person oder ein Gegenstand im SIS ausgeschrieben sind (sog. Hit/No-hit-System) sowie gewisse Angaben wie Namen, Ausschreibungsgrund, zu ergreifende Massnahmen und der Vermerk «gewalttätig», «bewaffnet» oder «auf der Flucht». Falls sie mehr wissen wollen, müssen sie einen begründeten Antrag an die nationale SIS-Behörde stellen. Die Daten werden bei Wegfall des Ausschreibungsgrunds sowie nach Ablauf einer vorgegebenen Zeit wieder gelöscht.
Die betroffene Person hat das Recht auf Auskunft über ihre Daten. Sie kann die Richtigkeit der Angaben überprüfen lassen und ein Begehren zur Berichtigung oder Löschung des Eintrags stellen. Die zuständige Auskunftsstelle in der Schweiz befindet sich im Bundesamt für Polizei.
Die Arbeit des Europäischen Polizeiamts (Europol) ergänzt die Schengener Instrumente. Mitglieder von Europol sind die EU-Staaten. Die Schweiz nimmt durch ein Kooperationsabkommen seit 2006 daran teil. Europol, mit Sitz in Den Haag, ist in erster Linie für das Sammeln und Auswerten von Daten zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens zuständig. Der Anwendungsbereich umfasst z. B. Terrorismus, illegalen Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Menschenhandel, Menschenschmuggel (Schlepperwesen) sowie illegalen Drogenhandel und andere Delikte.
Europol verfügt über eine für Ermittlungen nützliche Datenbank: das Europol Information System (EIS). Es enthält mehr Informationen über Personen, kriminelle Gruppen, Verbindungen unter den Personen, laufende Ermittlungen oder verwendete Kommunikationsmittel als das SIS. Die Schweiz kann mittels eines Gesuchs an Europol Informationen aus dieser Datenbank beziehen, aber sie hat keinen direkten EIS-Zugang in Echtzeit. Die Europol-Mitarbeiter analysieren die von nationalen Polizeibehörden eingesandten Daten über das organisierte Verbrechen und werten sie aus. Ein Polizeibeamter, der Informationen wünscht, arbeitet mit dem Vertreter seines Landes bei Europol zusammen, der für ihn die gewünschten Auskünfte einholt.
Auch die Arbeit von Interpol ergänzt die Schengener Polizeizusammenarbeit. Die Aufgabe der in Lyon ansässigen Interpol ist es, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Polizeibehörden zu fördern. U. a. leitet Interpol Informationen über gesuchte Straftäter weiter und analysiert allgemeine Verbrechensmethoden und aktuelle Kriminalitätstrends. Die Zusammenarbeit via SIS geniesst unter den Schengen-Staaten in der Fahndungs- und Ermittlungstätigkeit im europäischen Raum allerdings Priorität, da sie in Echtzeit und vor Ort erfolgt. Anfragen, welche über andere Kanäle erfolgen (wie z. B. über Interpol), werden zum Teil nicht mehr zeitgerecht behandelt.
Visumpolitik
Die Erteilung von Kurzzeitvisa (maximal 90 Tage) erfolgt in der Schweiz nach den gleichen Regeln wie in den übrigen Schengen-Staaten. Das Schengen-Visum gilt auch für die Schweiz. Visumspflichtige Touristengruppen und Geschäftsreisende, die auf ihrer Europareise die Schweiz als Hauptreiseziel besuchen, müssen bei einem schweizerischen Konsulat ein Schengen-Visum beantragen, das anschliessend für den gesamten Schengen-Raum gilt. Umgekehrt anerkennt die Schweiz Schengen-Visa, welche von Konsulaten der übrigen Schengen-Staaten erteilt werden. Damit können visumspflichtige ausländische Reisende ohne zusätzlichen Aufwand auch einen Abstecher in die Schweiz machen. Durch die Anbindung an das Schengener Informationssystem (SIS) ist zudem gewährleistet, dass in der Schweiz unerwünschte Personen von einem anderen Schengen-Staat kein Visum erhalten und umgekehrt.
Das Schengen-Visum ersetzt einzig das schweizerische Visum für kurzfristige Aufenthalte (Aufenthalte von max. 90 Tagen pro Gesamtzeitraum von 180 Tagen), welches in der Regel von Touristen und Geschäftsreisenden benötigt wird. Diese können nun mit einem einzigen Visum die Schweiz und den übrigen Schengen-Raum bereisen. Visa für Aufenthalte von mehr als 90 Tagen werden weiterhin nach Schweizer Bestimmungen vergeben (nationale Visa). Möchte z. B. ein indischer Student ein Studienjahr absolvieren, so benötigt er dafür ein nationales Schweizer Visum.
Nein, wer in einem Schengen-Staat lebt und eine Aufenthaltsbewilligung besitzt, darf sich grundsätzlich ohne Visum im Schengen-Raum bewegen. Man muss aber stets die Aufenthaltspapiere und ein gültiges Reisedokument auf sich tragen. Zudem darf der Aufenthalt im Schengen-Raum ausserhalb des Wohnsitzstaats nicht länger als 90 Tage (in einem Zeitraum von 180 Tagen) dauern.
Das Visa-Informationssystem (VIS) ist eine zentrale Datenbank, in der bei jedem Schengen-Visum-antrag gewisse Angaben gespeichert werden. Das VIS verbessert die Umsetzung der gemeinsamen Visumpolitik der Schengen-Staaten, die konsularische Zusammenarbeit und die Konsultation zwischen den zuständigen Behörden.
Drogenpolitik und Rechtshilfe
Die Schengen-Staaten haben sich verpflichtet, den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln zu bekämpfen. Schengen lässt den einzelnen Staaten Spielraum, eine eigene Drogenpolitik zu führen. Diese Politik muss so ausgestaltet werden, dass die Durchsetzung der in den anliegenden Staaten geltenden Gesetze nicht ver- oder behindert wird. Im Kampf gegen den Drogenhandel ist die verstärkte Zusammenarbeit mit den Schengen-Staaten besonders wichtig.
Neben der verstärkten Polizeikooperation stellt die verbesserte Zusammenarbeit der Justizbehörden (Gerichte, Untersuchungsbehörden) zwischen den Schengen-Staaten eine weitere Massnahme zum Erhalt des Sicherheitsstandards dar. Die Zusammenarbeit fokussiert sich insbesondere auf die Rechtshilfe in Strafsachen, die Auslieferung von Straftätern und die Übertragung der Vollstreckung von Strafurteilen. Ziel ist hauptsächlich die Vereinfachung der Abläufe. Beispielsweise können die Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten direkt miteinander in Kontakt treten, ohne das jeweilige Justizministerium zu bemühen. Zudem ermöglicht die Schengen-Zusammenarbeit die formlose Auslieferung, insofern die betroffene Person dieser zustimmt. Die justizielle Zusammenarbeit im Rahmen der Schengen-Assoziierung hat sich in der Schweiz in der Praxis bewährt. Z. B. im Bereich der sogenannten akzessorischen (kleinen) Rechtshilfe ist der direkte Verkehr zwischen den Strafverfolgungsbehörden heute der Regelfall. Der Europäische Haftbefehl, den die EU-Staaten unter sich beschlossen haben, ist hingegen nicht Teil des Schengen-Rechts und findet in Bezug auf die Schweiz keine Anwendung.
Schengen dehnt die Rechtshilfe auf den Bereich der indirekten Fiskalität aus: Die Schweiz leistet auf dieser Basis auch in Fällen Rechtshilfe, in denen eine Steuerhinterziehung bezüglich indirekter Steuern und Zölle vorliegt. Die Schweiz leistet den EU-Mitgliedstaaten zudem gestützt auf das Betrugsbekämpfungsabkommen Schweiz–EU Rechtshilfe in jenen Bereichen, in denen dieses Abkommen Anwendung findet. In der Praxis wird nahezu ausschliesslich auf der Basis des Betrugsbekämpfungsabkommens Rechtshilfe geleistet.
Im Bereich der direkten Steuern hat Schengen zu keiner Erweiterung der Rechtshilfe-Verpflichtungen der Schweiz geführt. Insbesondere ist die Schweiz nicht verpflichtet, allfälligen Ersuchen um Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Bereich der direkten Fiskalität Folge zu leisten. Für den Fall einer allfälligen Weiterentwicklung in diesem Bereich hat die Schweiz mit der EU eine unbefristete Ausnahme ausgehandelt, der zufolge sie nicht verpflichtet ist, entsprechende Rechtsänderungen zu übernehmen.
Waffenrecht
Sinn und Zweck der Schengen-Bestimmungen ist die Festlegung gewisser Rahmenbedingungen, um aus Sicherheitsgründen die Verbreitung von Feuerwaffen für den privaten Gebrauch im Schengen-Raum zu regeln. Die Richtlinie sieht zum Beispiel vor, dass der Erwerb von Feuerwaffen registriert wird und dass Informationen über den Transfer von Feuerwaffen von einem Schengen-Staat in einen anderen gesammelt werden. Die Schweiz hat im Rahmen des Schengen-Assoziierungsabkommens auch die Waffenrichtlinie übernommen und setzt deren Bestimmungen seit 2008 um. So bietet der europäische Feuerwaffenpass Jägern und Sportschützen unmittelbar Vorteile: Er erleichtert die Formalitäten für die Ausfuhr von Feuerwaffen in einen Schengen-Staat, sei es für die Teilnahme an einer Sport- oder Jagdveranstaltung. Die EU-Waffenrichtlinie wurde im Mai 2017 revidiert. Gegen die Übernahme dieser Revision in das Schweizer Waffenrecht wurde das Referendum ergriffen. Am 19. Mai 2019 wurde die Teilrevision der Schweizer Waffengesetzgebung vom Schweizer Volk angenommen.
Das Waffenrecht wird laufend neuen Erfordernissen angepasst. Die Teilrevision der Waffen-Richtlinie berücksichtigte auch Erkenntnisse aus Terroranschlägen in Paris, Brüssel und Kopenhagen von 2015 und verfolgt das Ziel, den Missbrauch von Waffen zu kriminellen Zwecken zu bekämpfen.
Die Waffenrichtlinie legt Mindestbedingungen für die Verbreitung ziviler Feuerwaffen fest. Die Teilrevision bringt eine konsequente Pflicht zur Markierung von Waffen und Waffenbestandteilen, was es der Polizei erleichtert, die Herkunft einer Waffe zu klären. Zudem wird der Informationsaustausch mit den anderen Schengen-Staaten verbessert, etwa darüber, wem der Erwerb einer Waffe aus Sicherheitsgründen verweigert wurde. Vorgesehen sind zudem punktuelle Anpassungen bei der Zulassung von bestimmten halbautomatischen Waffen. Sturmgewehre können jedoch weiter direkt von der Armee übernommen werden. Zudem sind beispielsweise Jäger und Jungschützen nicht von den Änderungen betroffen.
Insgesamt bringen die Anpassungen im Waffenrecht einige Verbesserungen beim Schutz vor Waffenmissbrauch und nur administrative Änderungen für einen Teil der Schützinnen und Schützen. Die wesentlichen Züge des Schweizer Waffenrechts – insbesondere die allgemeinen Voraussetzungen für den Waffenerwerb – bleiben jedoch unverändert.
Die Übernahme der neuen Bestimmungen der Richtlinie in das Landesrecht erforderte Anpassungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene. Das Parlament hat diese erarbeitet und am 28. September 2018 verabschiedet. Das Referendum wurde ergriffen und das Schweizer Stimmvolk hat die Vorlage am 19. Mai 2019 angenommen. Eine Ablehnung hätte die Nicht-Übernahme einer Schengen-Weiterentwicklung bedeutet. Dies hätte zur Beendigung des Schengener Assoziierungsabkommens führen können (mehr dazu unter: Beendigung der Schengen/Dublin-Abkommen).
Worum geht es bei Dublin?
Das Übereinkommen von Dublin wurde am 15. Juni 1990 in der irischen Hauptstadt von den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet. Es regelt, welcher Vertragsstaat für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständig ist. Dublin regelt aber nicht, wie die nationalen Asylsysteme ausgestaltet sein müssen. Um zu verhindern, dass sich kein Staat für einen Asylsuchenden zuständig erklärt oder ein Asylsuchender mehrere Gesuche stellt, wurden Kriterien aufgestellt, nach welchen der zuständige Staat ermittelt wird. Es ist dies der Staat, mit dem der engste Zusammenhang besteht (etwa, weil der Asylsuchende dort Familie hat, dort zuerst eingereist ist, die Grenze illegal überschritten hat usw.). Dublin regelt auch die Verfahrensfristen, um die Zusammenarbeit noch effizienter zu machen. Im Gegensatz zu Schengen nehmen an Dublin auch Grossbritannien, Irland, Bulgarien, Rumänien und Zypern teil. An der Dublin-Zusammenarbeit sind als assoziierte Staaten auch Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz beteiligt.
Zwischen der Schengen- und der Dublin-Zusammenarbeit besteht ein enger inhaltlicher Zusammenhang, der sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Abkommens heraus erklärt. In den Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU wurden die beiden Abkommen als Einheit betrachtet. Die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen der Schweiz sind rechtlich miteinander verknüpft und die Kündigung des einen Abkommens zieht automatisch den Wegfall des anderen Abkommens nach sich.
Im Datensystem Eurodac, welches seit dem 15. Januar 2003 in Betrieb ist, werden in Ergänzung zur Dublin-Zusammenarbeit die Fingerabdrücke von Asylbewerbern und illegalen Einwanderern gesammelt. Damit wird der Nachweis erleichtert, dass ein Asylbewerber bereits in einem anderen EU-Staat ein Asylgesuch gestellt oder sich dort aufgehalten hat. Diese Information ist für die Bestimmung des zuständigen Staates ein wichtiges Hilfsmittel. Als Dublin-Mitglied kann die Schweiz diese Gesuche dank der Eurodac-Datenbank leichter identifizieren und muss nicht darauf eintreten.
Die Dublin-Zusammenarbeit regelt, welches Land für die Prüfung eines Asylgesuches zuständig ist. Personen, die bereits in einem anderen Dublin-Staat ein Asylverfahren angestrengt haben, können in diesen überstellt werden. Auf die nationalen Bestimmungen zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus hat Dublin aber keinen Einfluss. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Schweiz im Rahmen des Dublin-Systems mehr Asylsuchende in einen anderen Staat überstellen kann als sie selber aufnehmen muss.
Da Schengen und Dublin gekoppelt sind, hat die operationelle Zusammenarbeit zum selben Zeitpunkt begonnen, d. h. am 12. Dezember 2008.
Das Dublin-System ist aufgrund der aktuellen Migrationsströme derzeit einer Belastungsprobe ausgesetzt, da es unter anderen Vorzeichen geschaffen wurde. Die EU arbeitet daher an einer Anpassung des Dublin-Systems, welche u. a. einen faireren Lastenausgleich unter den Mitgliedstaaten erreichen und Sekundärmigration verhindern soll. Die Europäische Kommission hat dazu einen Verordnungsvorschlag vorgelegt. Auch die Schweiz beteiligt sich an den Diskussionen und begrüsst die Stossrichtung der Reformen.
Mitspracherecht der Schweiz bei Schengen/Dublin
Als Schengen-assoziierter Staat hat die Schweiz bei der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ein gestaltendes Mitspracherecht. Dieses ist bedeutend, da die Beschlussfassung meistens im Konsens erfolgt. Es ermöglicht der Schweiz, sich an der Gestaltung dieser Entwicklungen zu beteiligen und ihre Interessen direkt in den Expertendiskussionen oder im Rahmen von Treffen auf Botschafter- und Ministerstufe zu verteidigen.
Bei Dublin sind die Mitspracherechte der Schweiz zwar eingeschränkt, aber sie wird über die in Vorbereitung befindlichen Texte informiert und kann ihren Standpunkt einbringen.
Mit der Assoziierung an die Schengen/Dublin-Zusammenarbeit hat sich die Schweiz grundsätzlich dazu verpflichtet, die Weiterentwicklungen des massgebenden Rechts innerhalb einer Zweijahresfrist und im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu übernehmen. Eine verabschiedete Weiterentwicklung wird der Schweiz schriftlich notifiziert. Ab Verabschiedungsdatum hat sie 30 Tage Zeit, sich zur Übernahme zu äussern und diese im Rahmen eines Notenaustausches zu bestätigen. Begründet der notifizierte Rechtsakt neue Rechte oder Pflichten, stellt der Notenaustausch für die Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag dar, der von Bundesrat oder Parlament genehmigt werden muss. In diesem Fall erfolgt der Notenaustausch unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung, die gegebenenfalls dem fakultativen Referendum untersteht.
Beendigung der Schengen/Dublin-Abkommen
Falls die Schweiz eine solche Weiterentwicklung in ihrem Recht nicht umsetzt, treten beide Assoziierungsabkommen der Schweiz mit den Schengen- und Dublin-Staaten ausser Kraft – es sei denn, der Gemischte Ausschuss beschliesst innerhalb von 90 Tagen etwas anderes. In diesem Ausschuss sind die Schweiz, die EU-Kommission und alle Mitgliedstaaten der EU vertreten. Der Entscheid, die Zusammenarbeit fortzusetzen, müsste einstimmig sein. Diese vertraglichen Bestimmungen kamen bisher noch nie zur Anwendung.
Ein Wegfall von Schengen und Dublin würde schwerwiegende Folgen für die Sicherheit, das Asylwesen, den Grenzverkehr, die Reisefreiheit und die Volkswirtschaft der Schweiz als Ganzes haben, wie ein Bericht des Bundesrates zu den volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Schengen/Dublin-Assoziierung der Schweiz vom 21. Februar 2018 zeigt.
Die Polizeikräfte würden den Zugang zum Schengener Informationssystem verlieren, das ein unverzichtbares Instrument ihrer täglichen Arbeit mit über 17'000 Fahndungstreffer pro Jahr geworden ist.
Das Dublin-Abkommen setzt gemeinsame Zuständigkeitsregeln für die Behandlung eines Asylantrags und will damit sicherstellen, dass nicht zwei Staaten gleichzeitig dasselbe Asylgesuch prüfen. Ohne Dublin-Assoziierung der Schweiz könnte jede Person, der der Flüchtlingsstatus in einem Dublin-Staat verwehrt wurde, in der Schweiz ein neues Asylgesuch stellen.
Der Schweiz erwachsen aus der Assoziierung an Schengen auch wesentliche volkswirtschaftliche und finanzielle Vorteile. Der Bericht des Bundesrates kommt zum Schluss, dass ohne die Schengen/Dublin-Zusammenarbeit für das Jahr 2030 mit Einkommensverlusten von 4,7-10,7 Mrd. CHF zu rechnen sei, was einem 1,6 - 3,7% tieferem BIP entsprechen würde. Der Schengen-Austritt der Schweiz hätte auch schwerwiegende Folgen für die Schweizer Grenzregionen und den Tourismus.
Der Wegfall dieser Zusammenarbeit könnte die Schweiz allein selbst mit grossem Aufwand und hohen Kosten nicht ganz wettmachen.
Bei einer Beendigung des Abkommens würde die Schweizer Grenze zu einer Schengen-Aussengrenze. Angesichts der geografischen Lage der Schweiz und der Intensität des grenzüberschreitenden Verkehrs würde dies zu einer massiven Staubildung führen. Mit über 1,7 Millionen Grenzübertritten pro Tag hat die Schweiz ein grosses Interesse daran, Schengen-Mitgliedstaat zu bleiben und von den erleichterten Grenzkontrollen zu profitieren. Der Wegfall des Schengen-Visums hätte zudem starke Auswirkungen auf die Attraktivität der Schweiz als Tourismus-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort.
Der Bericht des Bundesrats von 2018 über die volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen ohne Schengen/Dublin-Assoziierung präzisiert, dass der Austritt aus dem Dublin-System dazu führen könnte, dass Personen, deren Asylgesuch im Dublin-Raum abgelehnt wurde, in die Schweiz reisen, um ein erneutes Gesuch zu stellen. Ohne Dublin-Assoziierung müsste die Schweiz ein solches Asylgesuch in der Regel im Rahmen des ordentlichen Verfahrens materiell prüfen. Schätzungen zufolge müsste mit zusätzlichen Kosten von 109 Millionen bis 1,1 Milliarden Franken pro Jahr gerechnet werden. Mit dem Dublin-System können heute rund 270 Millionen Franken pro Jahr eingespart werden.
Die Schengen/Dublin-Abkommen sind zwei wesentliche Elemente des bilateralen Wegs. Obwohl es keine juristische Klausel gibt, die die Abkommen untereinander verknüpft, würden sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU ohne die Zusammenarbeit der Schweiz mit den anderen europäischen Ländern im Asyl-, Grenz- und Gesundheitsbereich deutlich schwieriger gestalten.
Dokumente
Links
Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD (SEM) - Dossier Schengen
Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD (SEM) - Dossier Dublin
Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD (fedpol) - Dossier Schengen
Übereinkommen von Schengen 1985
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen 1990
Der Schengen-Besitzstand und seine Einbeziehung in den Rahmen der Europäischen Union