«Die humanitäre Hilfe darf sich nicht nur auf die Nothilfe beschränken»

Artikel, 27.03.2015

Interview mit Manuel Bessler, Delegierter für humanitäre Hilfe und Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe

Manuel Bessler, Delegierter für humanitäre Hilfe und Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe
Manuel Bessler, Delegierter für humanitäre Hilfe und Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe SDC

Die Krise in Syrien und im Irak, die Ebola-Epidemie, die Gewalt in Subsahara-Afrika … An Herausforderungen für die Humanitäre Hilfe der Schweiz mangelt es nicht. Trotzdem widmen Sie die Jahrestagung der Humanitären Hilfe dem Thema Katastrophenvorsorge. Weshalb?
Stellen Sie sich neben den Krisen, die Sie erwähnt haben, eine Naturkatastrophe vor – zum Beispiel ein grosses Erdbeben. Das würde die humanitäre Gemeinschaft und ihre bereits schon stark beanspruchten Ressourcen vor grosse Herausforderungen stellen. Jedes Jahr werden durch rechtzeitig getroffene Massnahmen zahlreiche Katastrophen vermieden. Dieses Engagement ist in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt, obwohl dadurch viele Leben gerettet, die Anzahl betroffener Menschen verringert  und die Schäden begrenzt werden können. An unserer Jahrestagung wollen wir diese Arbeit sichtbarer machen. 

Mit welchen Mitteln lassen sich Katastrophenrisiken vermindern?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Am allerwichtigsten ist eine gründliche Analyse der vorhandenen Risiken. Gestützt darauf kann man festlegen, welche Massnahmen am besten geeignet sind. Man nennt das «integriertes Risikomanagement». Konkret kann dies Präventionsmassnahmen beinhalten, wie zum Beispiel das Pflanzen von Bäumen oder die Einschränkung der Überweidung, um Bodenerosion und Erdrutsche zu vermeiden. Weiter gehören Vorsorgemassnahmen dazu, wie zum Beispiel der Aufbau von Frühwarnsystemen für Tsunamis, Überschwemmungen und schwere Wirbelstürme, damit die Menschen rechtzeitig evakuiert werden können. Bei der Umsetzung solcher Massnahmen arbeiten wir immer mit den betroffenen Staaten und Gemeinschaften zusammen.

Das alles erfordert viel Zeit. Hat das noch etwas mit humanitärer Hilfe zu tun? Ist das nicht eher Entwicklungszusammenarbeit?
Die humanitäre Hilfe beschränkt sich nicht auf die Nothilfe. Sie soll mit Vorbeugungs- und Nothilfemassnahmen zur Erhaltung gefährdeten menschlichen Lebens beitragen. So steht es im Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aus dem Jahr 1976. Abgesehen von der Nothilfe verlangt unser Auftrag auch, dass wir bei den Ursachen der Krisen ansetzen. Nach dem Grundsatz «Vorbeugen ist besser als Heilen».
Aber es stimmt schon: Katastrophenvorsorge geht über die humanitäre Hilfe hinaus. Ein Wirbelsturm oder ein Tsunami können über Jahrzehnte hinweg erzielte Entwicklungsfortschritte in einem Land zunichte machen. Aus diesem Grund ist die Verminderung von Katastrophenrisiken ein Schwerpunktthema der DEZA. Es handelt sich um eine gemeinsame Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit und der Humanitären Hilfe.

Die Schweiz verfügt aufgrund ihrer Topografie über grosse Erfahrung im Risikomanagement. Wie nutzt die DEZA dieses Know-how bei ihrem Engagement im Ausland?
Die DEZA kann sich bei der Entwicklung von Projekten auf die Beiträge zahlreicher Partnerinstitutionen stützen. Sie koordiniert eine Plattform für die Zusammenarbeit mit anderen Bundesämtern, die sich in der  Schweiz mit diesem Thema beschäftigen. Das sind hauptsächlich das Bundesamt für Umwelt und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Die Plattform umfasst auch Schweizer NGO.
Das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) spielt auch ein sehr wichtige Rolle beim Wissenstransfer. Das SKH verfügt über eine Fachgruppe für Umwelt und Katastrophenvorsorge. Einige ihrer Mitglieder stehen regelmässig im Ausland im Einsatz.
Schliesslich unterhält die DEZA Partnerschaften mit akademischen Einrichtungen und dem Privatsektor, nicht zuletzt mit der Versicherungsbranche.