3 Fragen an Barbara Böni
Aus der Sicht des Alpenlandes Schweiz wird Nepal vor allem mit dem Himalaja in Verbindung gebracht. Können Sie diese Sichtweise relativieren und uns von anderen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern berichten?
Wer an Nepal denkt, denkt oft tatsächlich zuerst an hohe Berge wie den Everest oder die Annapurna-Kette. Viele Schweizer Touristinnen und Touristen machen dort Trekkingtouren: 2022 waren es per August bereits 1671. Es gibt aber noch viele weitere Ähnlichkeiten. Geografisch gesehen sind die Schweiz und Nepal Binnenstaaten mit vielen Fliessgewässern. Dies begünstigt den Wassersektor, Staudämme und die Stromerzeugung, schafft aber auch Herausforderungen wie Überschwemmungen oder Erdrutsche. Beide Länder haben eine kulturell und sprachlich vielfältige Bevölkerung, auch wenn Nepal mit 30 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, 125 ethnischen Gruppen und Kasten und 123 gesprochenen Sprachen deutlich vielfältiger ist als die Schweiz – und in diesem Sinne mehrere «Röstigraben» aufweist.
Auf politischer Ebene zeichnen sich sowohl Nepal als auch die Schweiz durch die Achtung der Demokratie und der Menschenrechte sowie durch ein föderales politisches System aus. Die nepalesische Verfassung von 2015 orientiert sich übrigens am politischen System der Schweiz, was sich in den drei Ebenen des Staates zeigt (Bund, Provinz und Gemeinde). Gerade deshalb wird die Unterstützung der Schweiz in Nepal zur Klärung der Rollen und Verantwortlichkeiten auf jeder dieser drei Ebenen sehr geschätzt. Dazu gehören auch die entsprechenden Planungs-, Budgetierungs- und Koordinationsprozesse.
Der Tourismus ist im Übrigen sowohl für Nepal als auch für die Schweiz ein florierender Sektor. Die vielen Nepal-Reisenden aus der Schweiz haben mit der Zeit ihre Spuren hinterlassen: Auf der Speisekarte vieler Gästehäuser entlang der Trekkingrouten findet man tatsächlich Rösti!
Im Laufe der Zeit hat sich die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Nepal an die sich verändernde Realität angepasst. Warum ist heute eine systemische Zusammenarbeit von Bedeutung?
Nepal hat bemerkenswerte Fortschritte beim Wirtschaftswachstum, bei der Armutsbekämpfung und beim Aufbau eines demokratischen Staates gemacht. Die Schweiz hat deshalb ihren Ansatz angepasst. Wir konzentrieren uns nun stärker auf den Kapazitätsaufbau und gute Rahmenbedingungen für ein integratives und nachhaltiges Wachstum.
Die Schweiz unterstützt ausserdem die Stärkung der Strukturen im Sinne der neuen Verfassung mit Schwerpunkt auf dem neuen föderalen System Nepals, das jenem der Schweiz mit Kantonen und Gemeinden ähnelt. So müssen auf der Ebene der Provinzen und der lokalen Regierungen viele neue Gesetze und Richtlinien ausgearbeitet und umgesetzt werden. Hier legen wir grossen Wert auf die Förderung der sozialen Inklusion und der Geschlechterdimensionen. Dieser Ansatz der systemischen Stärkung ist wichtig, um Nepal in der Zeit nach der Pandemie und angesichts einiger politischer Versuche, die notwendigen Reformen zu verhindern, weiter zu unterstützen.
Secure investments, prepare for the future: so lautet das Motto des Kooperationsprogramms für Nepal 2023–2026. Was ist neu?
Neu gegenüber früher ist eindeutig der viel stärkere Fokus auf die Entwicklung des Privatsektors. Die Schweiz fungiert in Sachen Wissens- und Technologietransfer als Vermittlerin, zum Beispiel in den Bereichen Landwirtschaft, Berufsbildung, Tunnelbau und Förderung von KMU. Ausserdem bietet sie innovative Finanzierungslösungen an, mit denen privates Kapital zur Erreichung der Entwicklungsziele mobilisiert werden soll.
Angesichts der grossen Gefahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel, denen Nepal ausgesetzt ist, wie zum Beispiel das Abschmelzen der Gletscher, wird die Umweltdimension deutlich gestärkt. So unterstützt die Schweiz die Erarbeitung von Richtlinien für den Umgang mit Katastrophenrisiken oder einen naturnahen Tourismus.
Klar ist, dass wir uns laufend an die Veränderungen des nepalesischen Kontexts anpassen und flexibel bleiben müssen. Nur so können die im Laufe der Jahre getätigten Investitionen langfristig gesichert und effektiv genutzt werden, um eine prosperierende und nachhaltige Zukunft aufzubauen, wie es sich die Nepalesinnen und Nepalesen wünschen.