«Ich glaube, dass es uns nicht bewusst war, wie wichtig uns die Freiheit ist.»
In der RTS-Sendung «Pardonnez-moi» äussert sich Bundesrat Ignazio Cassis zu den Massnahmen gegen COVID-19 und spricht über mögliche Folgen der Pandemie: Viele Staaten hätten sich bei der Schweiz für die Rückholaktion ihrer Staatsangehörigen bedankt. Und deutlich sei auch geworden: Kein Land könne alleine eine solche Krise bewältigen. Ein Überblick in Zitaten.
Bundesrat Ignazio Cassis äussert sich im Interview mit RTS zur Zusammenarbeit der Schweiz mit den Nachbarstaaten im Kampf gegen COVID-19. © EDA
Bundesrat Ignazio Cassis äussert sich im Gespräch mit RTS…
…über die Freiheit:
«Ich glaube, dass es uns nicht bewusst war, wie wichtig uns die Freiheit ist. Sie ist in Artikel 2 unserer Verfassung verankert. Aber wir haben uns so daran gewöhnt, dass wir vergessen haben, wie wichtig sie ist. Doch die Krise hat es gezeigt.»
…über den angeblichen Corona-Graben zwischen Deutschschweiz, Romandie und Tessin:
«Ich glaube nicht, dass es hier um kulturelle Unterschiede ging. Es war eine Frage der Ausbreitung der Pandemie. Da das Epizentrum in der Lombardei lag, war das Tessin natürlich stärker betroffen. Wäre das Epizentrum in München gewesen, wäre Schaffhausen in einer ähnlichen Situation gewesen wie das Tessin.»
…über gesundheitliche und wirtschaftliche Prioritäten:
«Wir müssen uns über die gesundheitliche und die wirtschaftliche Dimension Gedanken machen – und über die gesundheitlichen Folgen wegen der Wirtschaftskrise. Denn hier geht es darum, eine gute Balance finden. Es sind zwei Seiten derselben Medaille, Gesundheit und Wirtschaft schliessen sich nicht aus. Ohne Gesundheit gibt es keine Wirtschaft, ohne Wirtschaft keine Gesundheit.»
…über die Folgen für die Schweiz:
«Wenn wir in 20, 25 oder 30 Jahren bereit sein wollen für eine neue Krise, stehen wir heute vor einer schwierigen Aufgabe: nämlich der Stärkung der finanziellen Lage der Schweiz nach dieser Krise.»
…über mögliche Folgen für die Begrenzungsinitiative:
«Der Bundesrat hat seine Meinung klar und unmissverständlich geäussert: Wir brauchen die Personenfreizügigkeit. Meine persönliche Meinung nach dieser Krise ist: Unser Freiheitsdrang ist noch grösser geworden. Wir haben zum ersten Mal seit vielen Jahren den Wert der Freiheit und den Wert der Personenfreizügigkeit in der Schweiz und mit unseren Nachbarländern erfasst. Ich denke, das wird die Debatte emotional beeinflussen.»
…über die Unterstützung internationaler Organisationen durch die Schweiz:
«Die Teilnahme der Schweiz an internationalen Aufrufen – darunter des Roten Kreuzes, der UNO und sogar der G20 – ist auch ein Beweis ihrer Solidarität und ihres Beitrags an die internationalen Bestrebungen zur Bewältigung dieser weltweiten Krise.»
…über die Reaktionen auf die Rückholaktion des EDA:
«Besonders bewegt haben uns die persönlichen Briefe und Kinderzeichnungen, aber auch die Telefonanrufe von Ministern aus Nicht-Nachbarländern. Fast jedes Land hat uns einen Dankesbrief für die Rückführung seiner Landsleute geschickt.»
…über die Folgen für die Beziehungen zu anderen Ländern:
«Diese Art der Hilfe in der Not hinterlässt Spuren: Sie hinterlässt Spuren auf emotionaler, freundschaftlicher und zwischenmenschlicher Ebene.»
«Wenn Sie kurz vor Mitternacht mit Ihrem Amtskollegen - in meinem Fall in Italien - über die Feinabstimmung der Grenzregelung sprechen, damit die Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus der Lombardei in die Schweiz einreisen und in Tessiner, Bündner und teilweise auch Walliser Spitälern arbeiten können, dann geht es um unser Gesundheitssystem, um die Krisenbewältigung und auch darum, anderswo benötigtes Personal nicht abzuziehen; eine solche Situation hinterlässt Spuren in den persönlichen Beziehungen.»
…über mögliche Auswirkungen auf das Verhältnis zur EU:
«Diese Kontakte in einer Notsituation haben uns persönlich näher gebracht und ein bisschen mehr Brüderlichkeit geschaffen. Das zählt. Gleichzeitig wäre es falsch zu glauben, dass das reicht. Natürlich wird es helfen, aber wir müssen auch Entscheidungen treffen.»
…über das Image der Schweiz als Krisenmanagerin:
«Die politische Stabilität, das gemässigte Vorgehen – wir hatten keinen totalen, landesweiten Lockdown mit Polizeikontrollen usw. –, dass die Eigenverantwortung in der Schweiz immer wichtig war, die Bedürfnisse der Kantone berücksichtigt wurden und es keine Föderalismuskrise gab: All diese Aspekte haben die Meinung über uns als starkes und stabiles Land gestärkt, namentlich in den Nachbarländern.»
«Wir geniessen eine sehr hohe Glaubwürdigkeit als Land, das tut, was es sagt. Und ich glaube, dass dies für mich in der Aussenpolitik sehr nützlich ist.»
…über die Zeit nach der Pandemie:
«Im Leben kehren wir nie zurück. Wir schreiten immer vorwärts. Dies wird auch hier der Fall sein, und die Welt nach COVID-19 wird eine andere sein. Die Welt wird sich verändern, sie wird digitaler. Es wird eine Welt sein, die sich der globalen Gefahren bewusster sein wird – und auch, dass ein Staat allein sie nicht bewältigen kann. Wir brauchen mehr Multilateralismus. Der Multilateralismus und die grossen Organisationen werden sich fragen: Waren wir auf diese Krise ausreichend vorbereitet? In dieser neuen Welt werden die Dinge neu kalibriert.»