Xavier Mertz – Schweizer Polarforscher und Wissenschaftsdiplomat

Xavier Mertz betrat 1911 als erster Schweizer die Antarktis, musste seinen Forschungsdrang jedoch bitter bezahlen. Heute ist Polarforschung zwar weniger dramatisch, aber umso dringender. Stefan Estermann, Chef der Abteilung «Wohlstand und Nachhaltigkeit» des EDA, erläutert anlässlich des «Swiss Polar Day», welche Rolle die Schweizer Polarforschung spielen kann und wie die Schweiz ihr Engagement in der Wissenschaftsdiplomatie stärkt.

Holzkreuz im Gedenken an Belgrave Ninnis und Xavier Mertz auf Cape Denison, Antarktis.

Lange die einzige Erinnerungsstätte an Dr. Xavier Mertz und Lt. Belgrave Ninnis: Ein Kreuz auf Cape Denison, dem Standort des damaligen Basislagers. © Mawson's Hut Foundation

Sein Freund Ninnis ist tot. Verschwunden in einer Spalte im ewigen Eis. Bis dahin hatten sie gut Fortschritt gemacht, an die 500 Kilometer ist das Expeditionsteam in die östliche Antarktis vorgestossen. In Gebiete, die noch kein Mensch zuvor betreten hat. Das Team setzt sich aus drei Männern zusammen, dem Expeditionsleiter und Australier Douglas Mawson, dem Briten Belgrave Ninnis und dem Schweizer Xavier Mertz. Die Bedingungen sind hart. Es ist der 14. Dezember 1912, antarktischer Sommer, die Temperaturen bewegen sich zwischen 0 und -20 Grad. Schlimm sind die Fallwinde, die vom antarktischen Plateau herunter wehen und in Böen bis zu 350 Stundenkilometer erreichen. Eine Gefahr für Mensch, Tier und Material.

Der auf Meereshöhe windigste Ort der Erde: Cape Denison an der Ostküste der Antarktis. © Mawson's Hut Foundation

Jetzt sind sie nur noch zu zweit. Mit Ninnis hat das Team zudem den schwereren Schlitten mit einem Grossteil der Ausrüstung, Verpflegung und den stärksten Hunden verloren. Das Unheil hatte sich angekündigt, Ninnis ging es zusehends schlechter. Sowohl er als auch Mawson waren mit Schlitten und Hunden bereits in Spalten gefallen, konnten aber wieder geborgen werden. Das Hundefutter ging jedoch früh verloren, weshalb die Männer den jeweils schwächsten Hund schlachteten und den restlichen Hunden verfütterten. Neugeborenen Hunden blühte dasselbe Schicksal.

Schlittenhunde mit Belgrave Ninnis auf dem Schlitten im Hintergrund.
Schlittenhunde, hier mit Belgrave Ninnis im Hintergrund, waren das verlässlichste Transportmittel in der damaligen Polarforschung – und bezahlten dafür einen schrecklichen Preis. © Library of New South Wales

500 Kilometer zurück zum rettenden Basislager

Der Verlust von ihrem Freund wiegt schwer, zusätzlich mangelt es nun an Verpflegung, Hunden und Material: Mawson und Mertz haben keine Wahl als zurückzukehren. Sie schlachten weiterhin Hunde, jetzt aber um sich selbst zu ernähren. Das Fleisch der abgemagerten Tiere ist zäh, die Innereien jedoch essbar, insbesondere die Leber. Erst kommen sie gut voran, doch dann geht es Mertz zusehends schlechter. Nach 49 Tagen unterwegs schreibt Mertz in sein Tagebuch, dass er nicht mehr zu schreiben vermag. Es ist sein letzter Eintrag.

Sechs Tage später bricht er zusammen. Mawson versucht ihn mit dem Schlitten weiterzuziehen, muss aber bald wegen starker Winde im Zelt Schutz suchen. Nach stundenlangem Delirium stirbt Dr. Xavier Mertz – Schweizer Jurist, Glaziologe und Bergsteiger – am 8. Januar 1913. Woran er schlussendlich genau gestorben ist, wird nie abschliessend geklärt. Wahrscheinlich eine Vergiftung, herbeigeführt durch den Konsum der Leber der Grönlandhuskies.

Mawson zieht alleine weiter. Durch den Tod von Mertz hat er mehr Verpflegung für sich übrig und überwindet ein zweites Mal jenen Gletscher, der später als Mertz-Gletscher benannt wird. Am 8. Februar 1913, nach 90 Tagen im ewigen Eis, erreicht er das Basislager. Kriechend.

Karte der Route durch die östliche Antarktis
Die Gesamtroute des Expeditionsteams, von dem nur Einer von Dreien zurückkehrt, und das auf allen Vieren. © Wikimedia

Gedenken an den ersten Schweizer in der Antarktis

Mertz war der erste Schweizer Polarforscher, der die Antarktis betrat. Neben dem damals auf Cape Denison errichteten Kreuz erinnert seit Mai 2021 eine Plakette im Hafen von Hobart in Tasmanien an den Tod der Polarforscher Lt. Belgrave Ninnis und Dr. Xavier Mertz. Feierlich eingeweiht durch den Schweizer Botschafter und die Britische Hochkommissarin in Australien. 

Dr. Xavier Mertz […] hat in der Geschichte der Polarforschung seine Spuren hinterlassen. Sein Anteil an der australischen Expedition von Douglas Mawson war der Beginn einer langen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Australien in Forschungsprojekten in und um die Antarktis.
Pedro Zwahlen, Schweizer Botschafter in Australien

Swiss Polar Day

2020 haben Australien und die Schweiz auch ein Forschungsabkommen besiegelt, das den Schweizer Forschungsinstitutionen via dem Swiss Polar Institut den Zugang zur Antarktis ermöglicht. Das Swiss Polar Institut ist eine Stiftung zur Förderung der Schweizer Polarforschung. Am 1. Oktober 2021 ist der Swiss Polar Day, ein Vernetzungsanlass der Schweizer Schnee-, Eis- und Höhenforschung.

Die Polarkappen sind sozusagen der Maschinenraum des Klimas unserer Welt. Die Polarforschung hilft dabei, den Klimawandel zu ergründen und so Mittel zu dessen Bekämpfung zu finden. Das entspricht einer Zielsetzung der Aussenpolitischen Strategie der Schweiz und ist auch eines der Ziele der Agenda 2030 der UNO. 

Wissenschaftsdiplomatie – Ein Gewinn für Forschung und Diplomatie

Globale Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern globale Zusammenarbeit – das relativ neue Feld der Wissenschaftsdiplomatie ermöglicht diese. Das indem sie sowohl die Zusammenarbeit zwischen Forschenden als auch die Beziehungen zwischen Ländern verbessert. Im Falle des Wissenschaftsabkommens zwischen der Schweiz und Australien profitiert die Forschung. Es kann aber auch umgekehrt passieren, dass aufgrund einer Forschungszusammenarbeit Beziehungen und Dialog zwischen Ländern verbessert werden. Der Arktische Rat ist ein gutes Beispiel dafür: Hier steht die Erforschung und der Schutz der Arktis im Vordergrund und bringt alle Anrainerstaaten – von Russland über Nordeuropa bis zu den USA und Kanada - an einen Tisch.

Dementsprechend unterstützt das EDA die Schweizer Forschungsgemeinschaft mit seiner Wissenschaftsdiplomatie. Stefan Estermann, Botschafter und Chef der Abteilung «Wohlstand und Nachhaltigkeit», erläutert die Rolle der Schweiz in der Polarforschung und weshalb die Schweiz ihr Engagement in der Wissenschaftsdiplomatie stärkt.

«Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zunehmend wichtig für die Diplomatie»

Herr Estermann, was bringt der Schweiz das Engagement ihrer Diplomaten in der Wissenschaft?

Wissenschaft und Diplomatie sind in letzter Zeit näher gerückt. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zunehmend wichtig für die Diplomatie – denken Sie zum Beispiel an die Klimadiplomatie oder die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie. Andererseits kann die Diplomatie die Wissenschaft unterstützen, indem sie Türen öffnet und bei der Lösung von Problemen hilft, damit ein wissenschaftliches Projekt vorankommt.

Was kann die kleine Schweiz bei einer globalen Herausforderung wie dem Klimawandel ausrichten?

Die Schweiz wurde früh industrialisiert und ist stark in die globale Wertschöpfung integriert. Auch wir können daher einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten: Das ist in unserem Interesse und ich bin überzeugt, dass dies auch eine Chance für unsere innovative Wirtschaft ist. Im Bereich der Erforschung von Ursachen und Wirkungen des Klimawandels sind die Schweizer Universitäten führend. So hat die Uni Bern z.B. den CO2-Gehalt der Atmosphäre für die letzten 800'000 Jahre Mittels der Analyse von Eisbohrkernen aus der Antarktis erforscht, was weltweit einmalig ist.

Welche konkreten Schritte gibt es in der Wissenschaftsdiplomatie der Schweiz, bezogen auf die Polarforschung?

Im Jahr 2017 erhielt unser Land den Beobachterstatus im Arktischen Rat. Wir konnten dies vor allem dank unserer Kompetenz im Bereich der der Schnee-, Eis- und Höhenforschung erreichen, die ja direkt in der Polarforschung zum Tragen kommt. Die Arktis hat seither stark an Bedeutung gewonnen und wir können nun die Diskussionen aus erster Hand mitverfolgen. Gleichzeitig eröffnet sich den Forschenden in der Schweiz der Zugang zu den wissenschaftlichen Arbeitsgruppen des Rats. Für mich ein schönes Beispiel, wie die Diplomatie und die Wissenschaft voneinander profitieren!

Zum Anfang