Aufbruch, Frieden und Flüchtlingskrise – Ignazio Cassis besucht den Nahen und Mittleren Osten

Vom 3. bis 8. April 2021 reist Bundesrat Ignazio Cassis in den Irak, Oman und Libanon. Mit ihrer Strategie für den Mittleren Osten und Nordafrika will die Schweiz in dieser Region die bilateralen Beziehungen stärken und so Frieden, Sicherheit und Wohlstand fördern. Der EDA-Vorsteher spricht mit seinen Gesprächspartnern im Irak und Oman über diese Ziele. Im Libanon macht er sich zudem ein Bild vom humanitären Engagement der Schweiz.

01.04.2021
Aufnahme einer beleuchteten Moschee in der irakischen Hauptstadt Bagdad bei Nacht.

Beim Besuch von Ignazio Cassis in Bagdad steht der Aufbruch des Landes in eine bessere Zukunft im Mittelpunkt. © Keystone

Drei Staaten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen auf dem Programm der Reise von Bundesrat Ignazio Cassis in den Nahen und Mittleren Osten:

Im Irak ging jahrelang ein Schreckgespenst um: Die vermummten, schwarz gekleideten, von religiösem Fanatismus getriebenen Mitglieder des Islamischen Staats (IS). Gräueltaten, Gewalt und Vetreibung lagen an der Tagesordnung. 2018 wurde das «IS-Kalifat» durch eine gross angelegte militärische Operation zerschlagen und in den Untergrund gedrängt. Die IS-Terrorherrschaft und die Folgen jahrzehntelanger Gewalt und bewaffneter Konflikte prägen die humanitäre, wirtschaftliche und soziale Lage im Irak. Trotzdem befindet das Land nach dem Regierungswechsel im Mai 2020 im Aufbruch.

Der Oman hingegen ist ein sicherer Hafen in einer instabilen Region und seit 50 Jahren in keinen Krieg verwickelt. Das Sultanat – wegen seiner neutralen Aussenpolitik oft auch als «Schweiz des Mittleren Ostens» bezeichnet – nimmt traditionell eine vermittelnde Rolle ein. Wie andere Golfstaaten auch sucht Oman nach Alternativen zur Erdölwirtschaft und befindet sich in einer Phase der wirtschaftlichen Neuorganisation. 2014 eröffnete die Schweiz in der Hauptstadt Maskat eine Botschaft mit der Absicht, eine engere Partnerschaft mit dem gleichgesinnten Staat einzugehen.

Kriegsruine in der irakischen Stadt Mosul.
Ein zerstörtes Gebäude in der irakischen Stadt Mosul zeugt von Jahren der Gewalt. © Keystone

Die Explosion im Hafen von Beirut vom 4. August 2020 wiederum steckt der Bevölkerung der libanesischen Hauptstadt noch immer in den Knochen. Millionen von Flüchtlingen – zum grössten Teil aus Syrien – harren im Libanon in zahlreichen Lagern und warten auf eine bessere Zukunft. Die Lage im Libanon verschärft sich zusehends, da ein Ende des Syrienkonflikts nicht absehbar ist und sich das Land selbst in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise befindet.

Gemeinsam in eine bessere Zukunft

Trotz beträchtlicher Problemfelder stehen viele Staaten im Nahen und Mittleren Osten nach jahrzehntelanger Gewalt an einem Wendepunkt für politische, wirtschaftliche und soziale Reformen. Die Schweiz leistet mit ihrer Aussenpolitik einen Beitrag zum Gelingen dieser Wende, indem sie in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern wie dem Oman auf Konfliktprävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit setzt. Sie sieht Chancen für die Schweizer Wirtschaft und will das Potenzial der gut ausgebildeten Jugend, zukunftsorientierter Technologien und der Digitalisierung nutzen. Als neutrale Vermittlerin hat sich die Schweiz in der Region einen guten Ruf erworben und ist eine geschätzte Partnerin.

COVID-19 im Nahen und Mittleren Osten

März 2020: Die Hitze töte das Coronavirus hiess es. Mittlerweile weiss die Welt, dass ihm auch 50 Grad am Schatten nichts anhaben können. Die Folgen der COVID-19-Pandemie im Nahen und Mittleren Osten sind verheerend. Wegen den vergangenen und andauernden Konflikten hatten – mit Ausnahme der Golfstaaten und Israel – Millionen von Menschen bereits vor der Ausbreitung des Virus mit unzureichender medizinischer Versorgung und einem Mangel an Nahrungsmitteln, Energie und Wasser zu kämpfen. Die verhängten Massnahmen im Kampf gegen das Virus haben auch Einfluss auf die ohnehin schon prekäre Lage von jugendlichen Stellensuchenden. Infolge von COVID-19 dürfte die Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern der MENA-Region steigen. Neben der Gefahr durch das Virus selbst, verschärft die Pandemie die humanitäre Situation – speziell in Flüchtlingslagern – und lässt neue wirtschaftliche und soziale Problemfelder entstehen. Mit humanitärer Nothilfe und der spezifischen Anpassung laufender Projekte und Programme an COVID-19 sowie der Unterstützung internationaler Partnerorganisationen vor Ort federt das EDA die Auswirkungen der Pandemie im Nahen und Mittleren Osten ab. 

Bewährte und neue strategische Instrumente

Vor diesem Hintergrund tritt Bundesrat Ignazio Cassis am 3. April 2020 eine Reise an, die ihn zu Treffen mit hochrangigen Regierungsmitgliedern im Irak, Oman und Libanon führt. Die Strategie für den Mittleren Osten und Nordafrika 2021-2024 des Bundesrats (MENA-Strategie) verbindet diese drei Besuche (siehe blaue Infobox unten). Die Schweizer Aussenpolitik setzt für das Erreichen ihrer Ziele in der MENA-Region auf bewährte und neue Instrumente: Gute Dienste für Frieden und Stabilität, internationale Zusammenarbeit um Armut zu lindern und Leben zu retten sowie Berufsbildung und der Einsatz neuer Technologien für den Ausbau von Wirtschaftszweigen und Wohlstand. All dies schafft Perspektiven für die Menschen vor Ort und wirkt sich positiv auf die Eindämmung von Migration sowie die internationale Sicherheit aus. Die aktuelle Reise ist Bundesrat Ignazio Cassis vierte Reise in die MENA-Region - nach den Besuchen im Iran, in Israel, dem Besetzten Palästinensischen Gebiet, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Algerien im 2020 und Anfang 2021.

Jugend ist für mich gleichbedeutend mit Aufbruch und Optimismus.
Bundesrat Ignazio Cassis

Bundesrat Cassis sieht grosses Potential in der gut ausgebildeten und politisch interessierten Jugend der MENA-Region, etwas bewirken zu können: «Jugend ist für mich gleichbedeutend mit Aufbruch und Optimismus». Um dies zu würdigen, trifft sich der Vorsteher des EDA auf seiner Reise mit aufstrebenden Start-Ups im Irak und spricht mit jungen omanischen Wirtschaftsvertretern über deren Projekte.

3. – 4. April: Irak

Eine junge irakische Unternehmerin sitzt hinter einem hölzernen Tisch und fertigt Schmuck.
Beim Aufbruch des Iraks in eine bessere Zukunft spielt die Jugend eine wichtige Rolle. © Keystone

Bundesrat Ignazio Cassis landet am 3. April 2021 in Bagdad. Cassis ist der erste Bundesrat seit dem Besuch von Fritz Honegger im Jahr 1979, der irakischen Boden betritt. Der Irak kann auf eine bewegende Geschichte zurückblicken, die stark geprägt ist durch drei Kriege zwischen 1980 – 2003, dem Aufflammen der terroristischen Bewegung des Islamischen Staates (IS) nach 2013 und Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Nach der Zerschlagung des IS 2018 sind für den Irak Sicherheit und Stabilität zentrale Themen. Die neue, seit Mai 2020 amtierende Regierung ist bemüht, das Land wirtschaftlich zu stabilisieren, das Wiedererstarken extremistischer Gruppierungen zu verhindern und Vertrauen – speziell zur Jugend – zu schaffen. Die Weichen stehen auf Wiederaufbau. Dies bietet der Schweiz eine Chance, ihre bilateralen Beziehungen mit dem Irak zu stärken. Entsprechend der Prioritäten der MENA-Strategie unterhält sich Bundesrat Cassis bei seinem Treffen mit dem irakischen Aussenminister Fuad Hussein über eine engere Zusammenarbeit in folgenden Bereichen:

  • Migration und humanitäre Hilfe
  • Frieden und Sicherheit
  • Wirtschaft

Mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) über die Aufnahme bilateraler politischer Konsultationen, bekräftigen beide Aussenminister den Wunsch eines stärkeren Bands zwischen der Schweiz und dem Irak.

Im Rahmen seines Besuchs trifft Bundesrat Cassis am 4. April 2021 aufstrebende Start-Ups. Im Mittelpunkt des Austauschs stehen Innovation und Perspektiven für junge Menschen in dem immer noch fragilen Land. Die jungen Menschen hinter der irakischen Start-Up-Szene bieten alltägliche Onlinedienstleistungen an wie Essenslieferungen, Medikamentenkurierdienste oder die Vermittlung von Kinderbetreuung. Sie kommen mehrheitlich aus dem Tech-Sektor und tragen zur Diversifizierung der Wirtschaft bei, indem sie neue Wirtschaftszweige abseits der Erdölförderung eröffnen, die für Investoren interessant sind.

5. – 6. April: Oman

Blick auf die malerisch gelegene omanische Hauptstadt Maskat.
Oman – ein sicherer Hafen in einer instabilen Region. © Keystone

Vom 5. bis 6. April weilt der Vorsteher des EDA in Maskat, der Haupstadt des Sultanats Oman. Das Land ist politisch betrachtet der stabile Ankerpunkt im Nahen und Mittleren Osten. Oman beteiligt sich an keinem der zahlreichen Konflikte in der Region, versucht aber aktiv zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Die Schweiz und Oman verbindet die langjährige Tradition einer neutralen Aussenpolitik. Dies ist eine solide Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit, um den Dialog und Frieden in der MENA-Region zu fördern. Das Sultanat setzt zudem aktiv auf eine Neuorganisation der Wirtschaft, um ausländische Firmen und Investitionen anzuziehen und treibt die Ausbildung der Jugend voran, um sie auf Tätigkeiten in den neuen Wirtschaftszweigen vorzubereiten. Dies eröffnet auch Schweizer Firmen neue Perspektiven für Handel und Investitionen. Der Oman ist auch ein beliebtes Reiseziel für Schweizerinnen und Schweizer.

Bundesrat Ignazio Cassis trifft am 6. April den omanischen Aussenminister Sayyid Badr Al Busaidi. Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen der Austausch über Entwicklungen im Mittleren Osten und Initiativen, mit denen der Dialog und das Vertrauen zwischen Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten gefördert werden soll.

Oman hat es sich zur Vision gemacht, die wirtschaftliche Vielfalt zu fördern und den Privatsektor zu stärken. Das Sultanat setzt dabei insbesondere auf das Potenzial und die Ausbildung der jungen Generation. Im Rahmen der MENA-Strategie setzt sich auch die Schweiz für die junge Generation ein und möchte ihr den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dementsprechend begrüsst die Schweiz die Bemühungen Omans, die Wirtschaft zu diversifizieren und neue Investitionen anzuziehen. Während seines Besuchs spricht Bundesrat Cassis mit Vertretern der Switzerland-Oman Friendship Association und von Schweizer Firmen über Perspektiven, die sich durch die laufende Diversifizierung der omanischen Wirtschaft speziell in den Bereichen Infrastruktur, Logistik und Tourismus ergeben.

7. – 8. April: Libanon

Blick auf verwüstete Gebäude nach der verheerenden Explosion in Beirut im August 2020.
Die Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 verschärfte die Lage des von einer schweren Wirtschafts- und Flüchtlingskrise betroffenen Libanon. © Keystone

Am 7. April 2021 trifft Bundesrat Ignazio Cassis in der libanisischen Hauptstadt Beirut ein, um sich ein Bild von den Wiederaufbauarbeiten nach der gewaltigen Explosion vom 4. August 2020 und der syrischen Flüchtlingskrise zu machen.

Grosse Teile der libanesischen Hauptstadt lagen nach der Explosion in Schutt und Asche, mindestens 160 Menschen kamen ums Leben und Tausende wurden verletzt. Auch die Schweizer Botschaft wurde in Mitleidenschaft gezogen. Botschafterin Monika Schmutz Kirgöz erinnert sich an das Bild unmittelbar nach der Explosion, als sie leicht verletzt unterwegs in ein Spital war: «Die ganze Strasse war ein Teppich aus Blut und Scherben.» Die Situation forderte im August 2020 internationale Solidarität. Auch die Schweiz leistete unmittelbar einen Beitrag durch humanitäre Soforthilfe. Expertinnen und Experten des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) überprüften die Stabilität von über 80 beschädigten Gebäuden, stellten die Gesundheitsfürsorge von Müttern und Kindern sicher und halfen bei der Reparatur von 19 Schulen.

Während seines Besuchs im Libanon weiht der Vorsteher des EDA ein Spital ein, das durch die Explosion beschädigt und durch Schweizer Unterstützung wiederaufgebaut wurde. Das humanitäre Engagement sticht in den bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Libanon hervor. Grund dafür ist der seit 10 Jahren andauernde syrische Bürgerkrieg. 1.5 Million syrische Flüchtlinge beherbergt der Libanon. Um die Folgen der Syrienkrise im Libanon abzufedern, ermöglicht das EDA für notleidende Menschen im Land den Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Bildung. Beispielsweise hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zwischen 2015 und 2020 gemeinsam mit den lokalen Behörden im Nordlibanon die Wasserversorgungs- und Abwassersysteme von 25 Schulen instand gestellt. Dadurch kann die grundlegende Hygiene an den Schulen auch einer Zunahme von syrischen Flüchtlingskindern standhalten. Vor der Rückreise in die Schweiz besucht Bundesrat Cassis ein Flüchtlingslager und informiert sich hautnah über das humanitäre Engagement der Schweiz. 

Ein strategischer Kompass für den Mittleren Osten und Nordafrika

Die Jugend, Frieden und Wohlstand stehen im Mittelpunkt der Reise von Bundesrat Ignazio Cassis in den Irak, Oman und Libanon - ganz im Sinne der Ziele der Schweizer Aussenpolitik und der Strategie für den Mittleren Osten und Nordafrika (MENA-Strategie).

In seiner Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 (APS) legte der Bundesrat Ende Januar 2020 allgemeine Ziele fest, nachdem er die gegenwärtige Weltlage analysiert und Trends und Tendenzen, die in der Zukunft wichtig werden könnten, evaluiert hatte.

Abgeleitet aus der APS knüpft die MENA-Strategie an das langjährige Engagement der Schweiz in der Region zur Prävention von Konflikten, der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit an. Gleichzeitig identifiziert sie Chancen für die Schweizer Wirtschaft, will das Potenzial der gut ausgebildeten Jugend nutzen und setzt auf zukunftsorientierte Technologien und die Digitalisierung. Mit dieser neuen Strategie für den gesamten Mittleren Osten und Nordafrika stärkt die Schweiz die Wirkung und Effizienz ihrer Aktivitäten in der Region.

Die geografischen Strategien, wie die MENA-Strategie, ergänzen die thematischen Strategien, wie beispielsweise die Strategie der Internationalen Zusammenarbeit des Bundesrates, in welcher der Mittlere Osten und Nordafrika auch als Schwerpunktregion definiert ist. Sie sind aufeinander abgestimmt. Dadurch wird das aussenpolitische Engagement der Schweiz effektiver, Doppelspurigkeiten werden vermieden und Synergien zwischen den involvierten Bundesstellen und den externen Partnern genutzt.

Dieses Zusammenspiel der Strategien ist wichtig, damit die Schweiz ihre Aussenpolitik in allen Teilen der Welt koordiniert umsetzen kann und stellt sicher, dass die Schweiz kohärent und als Einheit auftritt.

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