«Diese Jugendlichen sind eine Inspirationsquelle für unsere Aussenpolitik»
Seit fünf Jahren unterstützt das EDA den Middle East Mediterranean Summer Summit, der von der Università della Svizzera italiana organisiert wird. Der MEM Summit bringt junge Menschen aus der Region Naher Osten, Nordafrika und europäischer Mittelmeerraum zusammen. Der Dialog mit den Teilnehmenden wird auch nach dem Treffen in Lugano fortgesetzt. Denn jungen Menschen zuzuhören ist zentral für die Umsetzung einer Aussenpolitik, die den Herausforderungen der Region gerecht wird. Botschafterin Maya Tissafi hat mit uns über das Thema gesprochen.
Das EDA führt eine Halbzeitüberprüfung der MENA-Strategie 2021-2024 durch. Dabei hat es die Meinung junger Jordanierinnen und Jordanier eingeholt, die am MEM Summit teilnehmen. © USI
Jedes Jahr treffen sich am Middle East Mediterranean Summer Summit (MEM Summit) junge Menschen aus der Region Naher Osten und Nordafrika (MENA) in der Schweiz. Warum ist es für das EDA so wichtig, gerade junge Menschen zu treffen?
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten ist Partner dieser Veranstaltung, die jungen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und vielfältigen Fähigkeiten in der Schweiz eine informelle Plattform für einen Austausch bietet. Das Feedback zu den letzten fünf Jahren ist sehr positiv. Die Diskussionen auf dem MEM Summit sind nicht nur für die Teilnehmenden wertvoll, sondern auch eine Inspirationsquelle für unsere Aussenpolitik. Denn in dieser Region haben die Jugendlichen ein grosses demografisches Gewicht: 45 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Am Summit erhalten sie eine Stimme und die Möglichkeit zu vielen inspirierenden Begegnungen.
Sie sind Leiterin der Abteilung MENA beim EDA. Wie erleben Sie diesen Austausch unter Jugendlichen zu aktuellen Themen und zur Zukunft der Region MENA?
Ich bin immer wieder beeindruckt, wie lebhaft die Diskussionen auf dem MEM Summit verlaufen und wie die jungen Teilnehmenden trotz der Vielfalt dieses geografisch weit ausgedehnten Gebiets zusammenarbeiten.
Der gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Wandel vollzieht sich derzeit so schnell, dass die einzelnen Generationen teilweise mit sehr unterschiedlichen Realitäten konfrontiert sind. Zum Beispiel durch den zunehmenden Einsatz neuer Technologien wie künstliche Intelligenz, welche die Wirtschaft und die Arbeitswelt tiefgreifend verändern. Gerade deshalb müssen wir jungen Menschen zuhören, damit unsere Aussenpolitik mit dieser neuen Realität Schritt halten kann.
Zur Förderung des Dialogs stellen sich jedes Jahr auch Schweizer Botschafterinnen und Botschafter aus dieser Region für einen Austausch mit den Teilnehmenden des MEM Summit zur Verfügung. In diesem Jahr nahmen Botschafterinnen und Botschafter am Summit teil, welche die Schweiz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Libanon und Tunesien vertreten.
Bei Ihren Reisen in die Region treffen Sie sich auch mit jungen Menschen. Was berührt Sie persönlich am meisten?
Junge Leute wollen ihre Zukunft mitgestalten und stehen für Klimapolitik, Umweltanliegen und gute Gouvernanz ein. Sie wollen eine gute Bildung geniessen, die ihnen Chancen auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht. Im Gazastreifen traf ich junge Frauen und Männer, welche nie ausserhalb von Gaza waren, aber innovative start-ups aufgebaut haben, welche Produkte und Dienstleistungen über die Grenzen hin anbieten. Die neuen Technologien helfen dabei. Auch in Jordanien, dem Irak oder Israel traf ich junge Menschen, die sich ungeachtet von Krieg, Konflikten oder Armut dafür einsetzen, mit kreativen Ansätzen die Zukunft ein bisschen friedlicher und gerechter zu gestalten. Das beeindruckt, berührt mich und treibt mich in meiner Arbeit an.
Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer bringt seine persönlichen Erfahrungen ins MEM ein, teilt Ideen mit andern Jungen aus Ländern, die evtl. sogar in einem Konflikt zueinanderstehen. Das MEM hat eine Kultur geschaffen, die zu Dialog führt: viele einzelne Stimmen führen zu einer Debatte, aus der Debatte entsteht möglicherweise eine Vision für die Schaffung von Perspektiven für junge Menschen im eigenen Land oder die gemeinsame Bekämpfung von globalen Herausforderungen. Natürlich wünschen wir uns einen positiven Multiplikatoren-Effekt für die Region. Aber wenn gegenseitige Vorurteile abgebaut werden können und ein regionales Netzwerk entsteht, dann ist es dies auch bereits wichtig. Ich bin überzeugt, dass so eine Erfahrung nachwirken wird.
Wie führt das EDA den Dialog weiter mit den Jugendlichen, die es an der USI trifft?
Die USI organisiert in Zusammenarbeit mit den Schweizer Botschaften in verschiedenen Ländern Workshops mit Alumni, also früheren Teilnehmenden des Summits. Der letzte Workshop, den ich besuchte, fand beispielsweise in Amman statt. Wir führen derzeit eine Halbzeitüberprüfung der MENA-Strategie 2021–2024 durch. Dabei stellten wir den jordanischen Alumni die Frage, wie unser Ansatz angesichts der vielen weltweiten Veränderungen in den letzten zwei Jahren angepasst werden müsste. Die Rückmeldungen waren konstruktiv, teilweise auch kritisch und daher sehr hilfreich für unsere Überlegungen. Dieses Jahr haben wir ein solches Feedback im grösseren Rahmen mit allen Teilnehmenden in Lugano durchgeführt.
Die in Lugano diskutierten Themen sind auch Schwerpunkte der Schweizer MENA-Strategie. Inwiefern fördert der Summit die Umsetzung der Strategie?
Dass sich die Diskussionsthemen am Summit mit den Prioritäten unserer Strategie überschneiden, ist ein gutes Zeichen. Das bedeutet, dass unser Ansatz mit den aktuellen Realitäten übereinstimmt.
Die Schweizer Aussenpolitik muss sich mit den Themen der Zukunft befassen. Sie muss ihre eigenen Ressourcen und die Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern kennen und die Stimme der Jugend in ihre Analyse einbeziehen. Wenn uns das gelingt, haben wir eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit mit diesen Ländern.
Die Situation in der Region verändert sich jedoch. Die Strategie auch? Welche Lehren können Sie aus Lugano für die Umsetzung der Strategie ziehen?
Wie bereits erwähnt führen wir derzeit eine Halbzeitüberprüfung der MENA-Strategie 2021–2024 durch. Wir blicken auf die vergangenen zwei Jahre zurück und aktualisieren unseren Ansatz wo nötig, behalten aber die fünf Schwerpunktthemen bei: Frieden, Sicherheit und Menschenrechte; Migration und Schutz von Menschen in Not; nachhaltige Entwicklung; Wirtschaft, Finanzen und Wissenschaft; Digitalisierung und neue Technologien.
Inzwischen gab es in der Region jedoch viele Veränderungen, vor allem wirtschaftliche, zuerst mit der langen Pandemie und nun mit dem Krieg in der Ukraine, der nicht nur Folgen für Europa hat, sondern für die ganze Welt. Themen wie Ernährungssicherheit, Wasserknappheit, Migration, künstliche Intelligenz oder Sicherheit betreffen uns alle. All diese aktuellen Trends wurden am aktuellen Summit diskutiert. Wir sind gespannt auf diese Überlegungen und die Anregungen der Teilnehmenden.
Auch in diesem Jahr nehmen Regierungsmitglieder aus Ländern der MENA-Region an den Gesprächen teil. Wie wichtig ist der Summit für das EDA zur Stärkung der direkten politischen Kontakte zwischen der Schweiz und diesen Ländern?
Wir pflegen regelmässige Kontakte auf hoher Ebene mit allen Staaten der MENA-Region, wo die Schweiz ein sehr dichtes diplomatisches Netz unterhält. Der EDA-Vorsteher hat in den letzten drei Jahren die meisten Länder der Region besucht. Die zeitliche Planung von bilateralen Treffen der Schweiz erfolgt unabhängig vom MEM Summit. Indem die USI jedes Jahr auch staatliche Vertreterinnen und Vertreter für Referate ans Forum einlädt, schafft sie jedoch Möglichkeiten für zusätzliche Begegnungen. Umgekehrt können bilaterale Besuche, die vom EDA in der Schweiz organisiert werden, mit diesem Anlass zusammenfall
EDA-Vorsteher Ignazio Cassis unterstützt das Forum ebenfalls und hat bereits mehrmals am MEM Summit teilgenommen. Letztes Jahr zum Beispiel wurde er zusammen mit dem omanischen Aussenminister Sayyid Badr Al Busaidi eingeladen, der sich zu einem bilateralen Besuch in der Schweiz aufhielt. Es fand ein Austausch mit den jungen Teilnehmenden statt, insbesondere über Fragen zu Frieden und Sicherheit. In diesem Jahr ist die physische Teilnahme der Jugendministerin der Vereinigten Arabischen Emirate am Summit geplant. Voraussichtlich wird ebenfalls die marokkanische Ministerin für Energiewandel und nachhaltige Entwicklung virtuell in Lugano anwesend sein. Nur um die hochrangigen Gäste aus der MENA-Region zu nennen.
MEM Summer Summit
Der MEM Summer Summit wurde 2018 auf Anregung der Universität der italienischen Schweiz (USI) und mit Unterstützung des EDA ins Leben gerufen. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten ist Partner dieser Veranstaltung. Der Summit beginnt jeweils mit einem mehrtägigen «Seminar», bei dem die jungen Teilnehmenden die gemeinsamen, grenzüberschreitenden Chancen und Herausforderungen betrachten, zum Beispiel die Energiewende, die Wasserknappheit und den Klimawandel.
Nach dem Seminar findet ein «Forum» statt, an dem hochrangige Referentinnen und Referenten teilnehmen, die von der USI aufgrund des gewählten Themas eingeladen werden und mit denen sich die jungen Teilnehmenden austauschen können.
Die fünfte Ausgabe des Summit findet vom 18. bis 27. August 2022 statt. Sie können das Forum vom 27. August 2022 unter folgendem Link verfolgen: