«Es ist noch nicht so lange her, als auf dem Balkan Krieg herrschte»
Seit langem setzt sich die Schweiz für Stabilität auf dem Westbalkan ein und unterstützt im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit Projekte in vielen Bereichen: von der Berufsbildung über die Dialogförderung und Vergangenheitsbewältigung bis zur Abfallbewirtschaftung. Ende Juni 2022 reist EDA-Staatssekretärin Livia Leu nach Kosovo und Serbien – in einer Zeit, in welcher noch offen ist, wie sich der Krieg in der Ukraine auf den Westbalkan auswirkt.
Roma-Kinder, die in Serbien an einem Bildungsworkshop im Rahmen des Kleinprojekts «Unterstützung des sozialen Zusammenhalts von Roma-Kindern» teilnehmen. © EDA
Staatssekretärin Livia Leu reist Ende dieses Monats nach Serbien und Kosovo. Widerspiegelt diese Reise die derzeitigen politischen Prioritäten?
Die Reise der Staatssekretärin des EDA zeugt von der politischen Bedeutung, die die Schweiz der Westbalkanregion und insbesondere Serbien und Kosovo beimisst. Ziel der Reise ist ein Austausch über strategische Herausforderungen und eine Standortbestimmung der bilateralen Beziehungen.
Ist diese Reise angesichts der anhaltenden prekären Lage in der Ukraine gerechtfertigt?
Es ist noch nicht so lange her, als auf dem Balkan Krieg herrschte und zahlreiche Personen aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Ähnlich, wie wir es nun mit der Ukraine erleben. Seit den 1990er Jahren hat sich die Situation im Balkan glücklicherweise deutlich verbessert. Der Krieg in der Ukraine wirft nun jedoch wieder ein Schlaglicht auf die fragile Stabilität in der Region. Steigende Preise für Energie und Güter des täglichen Bedarfs bergen das Risiko von sozialen Spannungen. Es ist deshalb wichtig, das Engagement im Westbalkan aufrechtzuerhalten und die Entwicklungen zu verfolgen. Ein Austausch mit Behörden und Organisationen in Serbien und Kosovo bietet die Gelegenheit, die Situation vor Ort besser zu verstehen.
Wie engagiert sich die Schweiz konkret in der Region?
Die Schweiz unterhält seit über 30 Jahren ein breit gefächertes Engagement im Westbalkan. Im Zentrum stehen Programme im Bereich der internationalen Zusammenarbeit, wie beispielsweise in der Schaffung von Arbeitsplätzen, gute Regierungsführung auf lokaler Ebene, Minderheitenrechte, Infrastruktur und Klimawandel sowie Unterstützung in der Vergangenheitsbewältigung. Die Schweiz beteiligt sich zudem an den militärischen Missionen EUFOR in Bosnien und Herzegowina und KFOR im Kosovo, welche massgeblich zur Stabilität in der Region beitragen. Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Justiz und Polizei. Auch die diplomatischen Beziehungen sind eng und die Schweiz unterstützt eine stärkere Anbindung der Balkanstaaten an Europa.
Die Schweiz unterstützt die Region mit bis zu 100 Millionen Franken pro Jahr. Wie wird das Geld konkret eingesetzt?
Mit ihren Projekten unterstützt die Schweiz beispielsweise den Ausbau an beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten in Serbien. Dies soll insbesondere Jugendlichen und benachteiligten Menschen zugutekommen und die hohe Arbeitslosigkeit reduzieren. In Kosovo konnten schon über 600'000 Menschen von verbesserten Dienstleistungen auf Gemeindeebene dank unserer Unterstützung profitieren. Oder in Albanien setzt sich die Schweiz beispielsweise dafür ein, dass die städtische Infrastruktur in den Bereichen Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung und Siedlungsabfall verbessert und die Energieeffizienz gesteigert werden kann. Bei allen Projekten in der Region arbeiten wir mit lokalen Behörden und Organisationen vor Ort zusammen.
Wenn man die letzten Jahre die Beziehung zwischen Serbien und Kosovo beobachtet, scheint es nicht, als ob es in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung kommen wird? Kann die Schweiz überhaupt helfen und wenn ja, wie trägt sie konkret dazu bei?
Ein wichtiger Faktor, welcher in beiden Ländern für Instabilität sorgt, ist der stockende Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo. Die Schweiz unterstützt den von der EU geleiteten Dialog zwischen den beiden Staaten im Rahmen eines Kooperationsprogramms. So können Treffen zwischen den beiden Verhandlungsseiten in einem geschützten Rahmen stattfinden. Das ist deshalb wichtig, damit ein Verständnis für die Anliegen der jeweils anderen Seite entstehen kann.