«Der Beitrag der Schweiz zur Armutsreduktion ist zentral»

Am 21. September 2020 schloss das Schweizer Parlament seine Beratungen über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 ab. In einem Interview im Anschluss an seinen vor Kurzem durchgeführten Besuch bei den Bundesräten Ignazio Cassis und Guy Parmelin lobte auch LI Yong, Generaldirektor der UNIDO, die Strategie der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Die UNO-Organisation setzt sich für eine nachhaltige industrielle Entwicklung ein.

In der Mitte steht UNIDO-Generaldirektor LI Yong, flankiert rechts von Bundesrat Cassis und links von Bundesrat Parmelin.

Bei seinem Besuch in Bern am 9. September 2020 sprach UNIDO-Direktor LI Yong unter anderem mit den Bundesräten Ignazio Cassis und Guy Parmelin über die neue Strategie der Schweiz für die internationale Zusammenarbeit. © EDA

Die UNIDO ist in der internationalen Zusammenarbeit ein wichtiger Partner für die Schweiz. In welchen Bereichen arbeiten Sie mit dem EDA in Bern zusammen? 

Die Schweiz gehört weltweit zu den engagiertesten Fürsprechern des Multilateralismus. Sie ist ein sehr zuverlässiger und vertrauenswürdiger Partner bei Projekten der technischen Zusammenarbeit, insbesondere für die UNIDO. Die Organisation profitiert nicht nur vom exzellenten technischen Know-how der Schweiz, sondern kann auch auf deren politische und finanzielle Unterstützung zählen und so vielfältige Prioritäten in der Entwicklungsarbeit angehen, insbesondere in folgenden Bereichen:

  • Nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Marktentwicklung und Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze
  • Bewältigung des Klimawandels und nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung 

  • Qualitativ gute Grundversorgung, Kapazitätsaufbau und Schaffung von Arbeitsplätzen zur Bekämpfung der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration  

  • Inklusion, umfassende Gleichberechtigung und Stärkung der Frauen 

  • Partnerschaften – unter anderem mit dem Privatsektor – für einen maximalen Entwicklungseffekt 

  • Digitalisierung für eine rasche, inklusive und nachhaltige industrielle Entwicklung 

Die Schweiz und die UNIDO können auf eine lange Partnerschaft zurückblicken, von der verschiedenste Empfänger auf der ganzen Welt profitierten. Bei meinem kürzlichen Arbeitsbesuch in Bern konnte ich erfreut feststellen, dass unsere Organisation sehr ähnliche Ziele verfolgt wie die Schweiz mit ihren eigenen Entwicklungsschwerpunkten.  

Li Yong, Generaldirektor der UNO-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), verfügt über langjährige Erfahrung als wirtschafts- und finanzpolitischer Entscheidungsträger. Als stellvertretender Finanzminister der Volksrepublik China und Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Zentralbank während eines Jahrzehnts trieb Li Yong die Reform des Finanzsektors voran und brachte die grossen Finanzinstitute dazu, Regeln zur Corporate Governance einzuführen, Lösungen für toxische Vermögenswerte zu finden und das Risikomanagement zu stärken. Überdies spielte er eine Schlüsselrolle bei der Zusammenarbeit Chinas mit multilateralen Entwicklungsorganisationen wie der Weltbankgruppe oder der Asiatischen Entwicklungsbank. © UNIDO

Heute hat das Schweizer Parlament die neue Strategie für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz beraten. Sie haben mit den Bundesräten Cassis und Parmelin auch darüber diskutiert. Was halten Sie von der neuen Strategie?  

Die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024 (IZA) bestätigt das Engagement der Schweiz für die Armutsbekämpfung und für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in den Entwicklungsländern. Ich schätze es sehr, dass die IZA zu den Kernpunkten der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 des Bundesrats gehört. Besonders positiv scheint mir, dass das Dokument sehr umfassend ist und dass betont wird, wie wichtig es ist, die Stärken der öffentlichen und der privaten Akteure zu kombinieren, um eine optimale Wirkung zu erzielen.  

Ich schätze es sehr, dass die IZA zu den Kernpunkten der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 des Bundesrats gehört.

Die Strategie legt den Fokus klar auf die Bedürfnisse der Menschen in Entwicklungsländern, bringt aber gleichzeitig die Stärken der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit optimal zum Tragen, auch indem das Potenzial der Privatwirtschaft und der Digitalisierung voll ausgeschöpft wird. In der IZA wird zudem betont, dass auf ein starkes multilaterales System hingearbeitet werden muss. Denn die globalen Herausforderungen können nur bewältigt werden, wenn alle Akteure sich engagieren und zusammenarbeiten, und zwar im erweiterten Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften.

Die Strategie sieht vor, dass die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor gestärkt wird. Ist dies in Ihren Augen eine vielversprechende Lösung zur Armutsbekämpfung und zur Schaffung neuer Perspektiven?  

Die UNIDO war schon immer überzeugt, dass eine inklusive und nachhaltige industrielle Entwicklung am besten durch eine Koalition von Entwicklungsakteuren erreicht werden kann, insbesondere durch den Einbezug des Privatsektors. Die meisten, wenn nicht alle UNIDO-Projekte der technischen Zusammenarbeit, ob in der Armutsreduktion oder im Umweltschutz, werden zusammen mit dem Privatsektor und durch diesen durchgeführt. Schliesslich schafft die Privatwirtschaft weltweit 9 von 10 Stellen!

Dabei kann die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sehr vielfältige Formen annehmen: von Investitionen bis zu Technologietransfers, vom Kapazitätsaufbau bis zur Marktintelligenz, von globalen Lieferketten bis zu Geschäftspartnerschaften. In der UNIDO orientieren wir uns stark an Win-win-Entwicklungen, auch indem wir den Privatsektor in die Umsetzung unseres wichtigsten Programms – das «Programme for Country Partnership (PCP)» – und in die Realisierung von Industrieparks einbeziehen.

Die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor kann sehr vielfältige Formen annehmen: von Investitionen bis zu Technologietransfers, vom Kapazitätsaufbau bis zur Marktintelligenz, von globalen Lieferketten bis zu Geschäftspartnerschaften.

Infolge der COVID-19-Pandemie könnte die Zahl der Menschen, die in Armut leben, um 420 auf 580 Millionen steigen und damit erstmals seit drei Jahrzehnten wieder zunehmen. Dabei könnten 70 bis 100 Millionen Menschen in die extreme Armut zurückfallen. Die Unterstützung des Privatsektors und die Zusammenarbeit mit ihm ist enorm wichtig, damit wir die sozioökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Krise eindämmen und gleichzeitig Verbesserungen für die Zukunft erzielen können. 

Die UNIDO fördert die industrielle Entwicklung in den Mitgliedstaaten. Wie trägt die Entwicklungszusammenarbeit zur industriellen Entwicklung bei?

Die Entwicklungszusammenarbeit ist zentral für die Förderung einer inklusiven und nachhaltigen industriellen Entwicklung. Diese bildet wiederum das Fundament für wirtschaftliche Entwicklung in den am wenigsten entwickelten Ländern und in Ländern mit mittlerem Einkommen. Doch industrielle Entwicklung ist viel mehr: ein Katalysator für den Wandel und eine gemeinsame Dimension, die alle gesellschaftlichen Aktivitäten verbindet. Die industrielle Entwicklung ist für jedes Land wichtig, die Entwicklungszusammenarbeit muss jedoch dafür sorgen, dass dieser Prozess inklusiv und nachhaltig verläuft – dort, wo die Menschen am meisten darauf angewiesen sind.

Die Schweiz spielt als Champion des Multilateralismus und konsequenter Geber eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, bei der Armutsbekämpfung und beim Klimaschutz.

Durch die COVID-19-Krise ist die internationale Unterstützung noch unverzichtbarer geworden. Nicht nur der Handel und die Wirtschaftsleistung der Länder haben weltweit unter der Pandemie gelitten, auch die dringend benötigten ausländischen Direktinvestitionen und Geldüberweisungen sind massiv zurückgegangen. Während die Regierungen sich bemühen, die Pandemiemassnahmen zu finanzieren und eine Schuldenkrise zu vermeiden, ist die Unterstützung durch die Entwicklungszusammenarbeit nun für die Beschäftigten und für KMU und deren Inhaber zentral, damit sich die Situation nicht weiter verschlimmert. 

Als UNO-Organisation arbeitet die UNIDO mit vielen Staaten zusammen. Was ist die Rolle der Schweiz? 

Eine der wichtigsten Funktionen der UNIDO besteht darin, als globales Forum den Informations- und Wissensaustausch unter den Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Die Schweiz spielt als Champion des Multilateralismus und konsequenter Geber eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, bei der Armutsbekämpfung und beim Klimaschutz. 

Die COVID-19-Krise erinnert uns eindrücklich daran, dass wir die globalen Herausforderungen von heute gemeinsam angehen müssen, denn kein Land kann diese Krise allein meistern. Die Pandemie ist genau wie der Klimawandel ein globales Problem, das am wirkungsvollsten durch multilaterale Zusammenarbeit gelöst wird. Die Schweiz ist deshalb – und auch aufgrund der langfristigen Perspektive, die sie in ihrer IZA unter Beweis gestellt hat – besonders wichtig, wenn es darum geht, ein starkes multilaterales System sicherzustellen und weltweit Partner zu mobilisieren, damit wir Wohlstand für alle schaffen können.

UNIDO – ein wichtiger Partner in der internationalen Zusammenarbeit

Die 1966 gegründete UNIDO (United Nations Industrial Development Organization) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Hauptsitz in Wien. Sie hat den Auftrag, eine nachhaltige industrielle Entwicklung in ihren Mitgliedsländern zu fördern. Die UNIDO ist für die Schweiz seit vielen Jahren ein wichtiger Partner, insbesondere bei der Förderung von Ressourceneffizienz und sauberen Produktionsverfahren sowie bei der Stärkung einer qualitativ guten Infrastruktur auf Länderebene.

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