«Wir haben Sehnsucht nach Freiheit»
Bundesrat Ignazio Cassis spricht im Rundschau Talk vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) über seine Lehren aus der COVID-Krise, den Austausch mit der EU und darüber, wieso die Schweiz bei der Entwicklungshilfe mit der Privatwirtschaft zusammenarbeitet. Der Vorsteher der Departements für auswärtige Angelegenheit (EDA) im Gespräch mit Nicole Frank und Dominik Meier.
Ignazio Cassis spricht im Rundschau Talk über seine Lehren aus der COVID-Krise und zeigt auf, warum die Schweiz bei der Entwicklungshilfe mit der Privatwirtschaft zusammenarbeitet. © EDA
Es ist die Woche, in welcher die Schweiz die Grenzen zu ihren Nachbarstaaten wieder öffnet; die Woche, in der Bundesrat Ignazio Cassis zum ersten Mal seit Langem seinen internationalen Amtskollegen wieder direkt begegnen kann. Ein besonderer Moment, wie der Vorsteher des EDA im Rundschau Talk von SRF am Mittwochabend bestätigt. «Wir brauchen diese zwischenmenschlichen Kontakte. Wir haben Sehnsucht nach Freiheit.» Gleichzeitig betont Ignazio Cassis, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist: Auch wenn die Grenzen wieder offen, das Reisen wieder erlaubt ist, empfiehlt der Tessiner Politiker lieber Sommerferien in seinem Heimatkanton.
Wunsch, Freiheit wieder am eigenen Leib spüren zu können
Die COVID-Krise hat den ehemaligen Kantonsarzt nicht nur in seiner Rolle als Bundesrat betroffen, sondern auch ganz privat: Ignazio Cassis erlebte in den letzten Wochen in der eigenen Familie, was es heisst, wenn Menschen am Coronavirus erkranken; daran sterben. «Diese Nähe schafft eine andere Betroffenheit. Die Pandemie hat nicht mehr nur ein wissenschaftliches Interesse, sondern erhält eine emotionale Betroffenheit.»
Gleichzeitig versteht der Vorsteher des EDA die wachsenden Forderungen nach schneller Lockerung, schliesslich sind die wirtschaftlichen Folgen der Krise hoch und der Drang nach Rückeroberung der persönlichen Freiheit gross. «Freiheit – ein Wort, das vor COVID kaum mehr gebraucht wurde, ist plötzlich wieder zentral. Man will sich frei bewegen, man will über die Grenzen gehen können, seine politische Meinung kund tun – man will diese Freiheit am eigenen Leib spüren.» Die Sehnsucht nach Freiheit in der Bevölkerung wächst, der Wunsch nach zwischenmenschlichem Kontakt nimmt zu.
Zusammenarbeit als Basis von Wohlstand, Eigenständigkeit und Sicherheit
Diese zwischenmenschliche Nähe war in den letzten Wochen nicht möglich, trotzdem sei der Kontakt unter den Nachbarländern stets gut gewesen. So hat die Schweiz Italien früh mit Schutzmasken, Schutzanzügen und Desinfektionsmittel unterstützt. Etwas, das auch Italiens Aussenminister Luigi Di Maio beim ersten Wieder-Aufeinandertreffen der beiden Amtskollegen am Grenzübergang Chiasso-Brogeda am Dienstag, 16. Juni, betont hat. Es seien gerade die Nachbarländer, die in dieser Krise gut zusammengearbeitet hätten. Eine Zusammenarbeit, die auch in Zukunft wichtig sein wird. «Als Nicht-Mitglied der EU unterhalten wir wichtige bilaterale Beziehungen zu den EU-Ländern. Diese Beziehungen sind für die Schweizer Wirtschaft von grosser Bedeutung und am Ende wichtig für unseren Wohlstand, unsere Eigenständigkeit und die Sicherheit der Schweiz.»
Wirtschaftssektor schafft Arbeitsplätze und damit Perspektiven
Für den Wohlstand und die Sicherheit der Schweiz ist nicht nur die eigene wirtschaftliche Leistung zentral, sondern auch eine stabile internationale Politik wichtig. Im Sinne ihrer langjährigen humanitären Tradition setzt sich die Schweiz für eine nachhaltige internationale Zusammenarbeit (IZA) ein. Diese Woche hat der Nationalrat der IZA-Strategie der Schweiz für die nächsten vier Jahre mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt. «Aussenpolitik ist immer auch Innenpolitik. Es liegt im Interesse der Schweiz, dass es den Leuten um uns herum gut geht», betont Bundesrat Cassis.
Eine Möglichkeit, international für mehr Stabilität zu sorgen ist die Schaffung von Arbeitsstellen in den betroffenen Regionen. Gerade in diesem Kontext helfe die Zusammenarbeit mit Partnern aus dem Privatsektor. «Wirtschaftsvertreter können etwas, was Länder und Hilfsorganisationen nicht können: Jobs schaffen. Mehr als 90 Prozent aller Arbeitsstellen werden vom Privatsektor geschaffen und solche Arbeitsstellen sind das A und O, wenn es darum geht, jungen Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten.» Aus diesem Grund arbeiten beispielsweise auch NGO seit vielen Jahren erfolgreich mit Vertretern aus der Wirtschaft zusammen und auch die Schweiz möchte diese Partnerschaft als Teil ihrer IZA-Strategie in den kommenden Jahren ausbauen.