«Die Pandemie zeigt, wie wichtig verlässliche Daten sind, um eine Krise zu bewältigen»
In vielen Ländern fehlen Statistiken und damit Angaben etwa zur Situation gefährdeter Bevölkerungen. Dies macht es global schwierig, die Wirksamkeit und die Fortschritte der nachhaltigen Entwicklung zu messen. Deshalb führt die Schweiz mit der UNO das World Data Forum durch. Weltweit gültige Standards für Daten und Statistiken können auch die Bekämpfung von Pandemien unterstützen, sagt Jacques Ducrest, einer der Delegierten des Bundesrates für die Agenda 2030.
Das Logo des virtuellen World Data Forum 2020. © United Nations World Data Forum
Herr Ducrest, weshalb organisiert die Schweiz das World Data Forum der UNO in Bern?
Die Schweiz unterstützt die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Für die Umsetzung ist essenziell, dass gute, vergleichbare Daten und öffentliche Statistiken bestehen. Das Forum ist weltweit eine einmalige Plattform, um die verschiedenen Datenproduzentinnen mit allen Datennutzern zusammen zu bringen. Diesen Austausch hat die UNO ermöglicht, als sie im Januar 2017 das World Data Forum zum ersten Mal in Südafrika durchgeführt hat.
Wir wollen, dass dieser Austausch weitergeführt werden kann. Deshalb unterstützen wir die Durchführung des World Data Forum. Schon während der Verhandlungen zur Agenda 2030 hat sich die Schweiz dafür eingesetzt, dass die gesteckten Ziele gemessen werden können. Nur wenn die Fortschritte der Umsetzung messbar sind, werden wir auch den Dialog mit der Wirtschaft, der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit überhaupt führen können. Mit der Durchführung des Forums können wir als Schweiz also die Messbarkeit und Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung aktiv unterstützen.
Welche Themen werden an der Konferenz besprochen?
Im Prinzip können alle Themen besprochen werden, die in irgendeiner Form mit der Agenda 2030 und ihrer faktenbasierten Umsetzung zu tun haben. Historisch ist die Konferenz in sechs Themenbereiche eingeteilt, so z.B. «Genügend Ressourcen für Daten und Statistiksysteme», «Innovationen», «Die Welt durch Daten verstehen» oder «Vertrauen in Daten und Statistiken aufbauen». Das Programmekomitee konnte von über 500 eingereichten Programmvorschlägen ca. 90 auswählen, welche am Forum in Bern vom 18. bis 21. Oktober 2020 diskutiert worden wären. Nun kam uns die Pandemie in die Quere und das physische Forum wurde auf den Oktober 2021 verschoben.
Was bedeutet das nun für die virtuelle Konferenz?
Neben der Entscheidung, die Konferenz in diesem Jahr virtuell durchzuführen, wurde das Programm reduziert. Im Zentrum stehen aus aktuellem Anlass Fragen mit Bezug zur Gesundheit: Zum Beispiel, wie Daten die Bekämpfung der Pandemie unterstützen können. Gleichzeitig ist wichtig zu betonen, dass die Herausforderungen, die seit Jahren bestehen, nicht verschwunden sind. Deshalb wird es ebenfalls einige Diskussionen zu Themen wie Digitalisierung, Finanzierung von Daten oder Daten in Bezug zur Genderthematik geben.
Wie läuft die virtuelle Konferenz konkret ab?
Normalerweise würden wir ca. 1500 Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer aus über 100 Ländern in Bern begrüssen. Es wäre eine Konferenz, welche alle möglichen Interessensgruppen anziehen würde: Leute aus der Verwaltung, Zivilgesellschaft, Medien, der Wirtschaft, usw. Kurz gesagt: Alle, die sich mit Daten und der Agenda 2030 auseinandersetzen. Trotz oder gerade wegen COVID-19 war für uns wichtig, das UNWDF nicht einfach um ein Jahr zu verschieben und in der Zwischenzeit nichts zu tun. Die Pandemie hat eindrücklich aufgezeigt, wie wichtig verlässliche und vergleichbare Daten und Statistiken sind, um effizient eine Krise zu bewältigen.
Das virtuelle Forum hat insgesamt fünf Plenarsitzungen und ein wenig mehr als 30 weitere Teilveranstaltungen. Organisiert werden diese von ganz verschiedenen Akteuren: von NGOs (z.B. aus Kolumbien), UNO-Organisationen (WHO, WMO, Weltbank, etc.), Universitäten (z.B. Harvard, John Hopkins), Statistikämtern (z.B. von UK oder Polen) und der Privatwirtschaft (z.B. Facebook). Die Schweiz organisiert drei Teilveranstaltungen und ist aktiv bei der Eröffnung und dem Abschluss der Konferenz involviert. Bundesrat Alain Berset wird eine Eröffnungsrede halten. Jede und jeder kann sich registrieren und teilnehmen! Bis letzten Donnerstag haben sich über 5000 Personen registriert. Ich finde das beeindruckend - und das zeigt, wie wichtig dieser Dialog mit den verschiedenen Akteuren ist.
Warum ist es für die Schweiz wichtig, dass in der Entwicklungszusammenarbeit weltweit gleiche Standards gelten?
Die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen und 247 Indikatoren gilt universell für alle UNO-Mitgliedstaaten. Diese weltweite Standardisierung von Indikatoren, also Datenstandards, ermöglicht es der Schweiz und ihren Partnern, globale Probleme wie Klimawandel oder Hunger mit aufeinander abgestimmten Massnahmen effektiver und effizienter zu bekämpfen.
Standardisierte Daten erlauben eine mittel- und längerfristige Planung, die Wirksamkeit unterschiedlicher Massnahmen kann einfacher verglichen werden und unterschiedliche Akteuren der öffentlichen Hand, der Zivilgesellschaft und des Privatsektors können ihren Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele einfacher planen, ausweisen und aufeinander abstimmen. Dies spart Kosten, vermeidet Redundanzen und erhört die Wirkung einzelner Initiativen. Die Schweiz setzt sich im Rahmen ihrer neuen Strategie zur Internationalen Zusammenarbeit für eine bessere Nutzung von Daten und den Einbezug wissenschaftlicher Forschung ein, um die resultatorientierte Steuerung ihrer Massnahmen zu stärken.
Nächstes Jahr im Herbst soll das World Data Forum in Bern stattfinden. Bis dahin wird die «Road to Bern» weitergeführt. Was ist darunter zu verstehen?
Zum Zeitpunkt der Bewerbung war bereits klar, dass die Schweiz nicht nur einfach einen grossen Event organisieren möchte. Wir fanden es wichtig, die Zeit im Vorfeld des Forums aktiv zu nutzen, um den Dialog mit der Schweizer Bevölkerung zu suchen. Im Januar 2020 im House of Switzerland am WEF hat das Bundesamt für Statistik in Zusammenarbeit mit dem EDA die Road to Bern lanciert. Die Road to Bern hat im Prinzip zwei Ziele: Die Themen des World Data Forum sollen auf dem Weg dorthin soweit vordiskutiert werden, dass am Forum selber konkrete Entscheide, Programme und Vereinbarungen präsentiert werden können. Zum anderen soll der Dialog in der Schweiz gefördert werden.
Die Bevölkerung hat ein Anrecht drauf, besser zu verstehen, warum die Schweiz sich für die Agenda 2030, ihre Messbarkeit oder eben auch für Investitionen in Statistiksysteme einsetzt. Wir wollen diesen Dialog führen. Deshalb sind wir auch Partner vom Lichtspektakel Rendez-vous Bundesplatz, welches vom 16. Oktober bis 21. November mit «Planet Hope» die Nachhaltigkeit als Thema aufgreift.
Zusammen mit verschiedenen Partnern organisieren wir im Rahmen der Road to Bern 13 Veranstaltungen. Ich lade sie alle ganz herzlich dazu ein, einen oder mehrere dieser Anlässe zu besuchen und mit den verschiedenen Expertinnen und Experten zu diskutieren.
Sie sind Delegierter des Bundesrats für die Umsetzung der Agenda 2030. Welche Rolle spielen bei der Agenda die Statistik bzw. die Themen, die am World Data Forum behandelt werden?
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat 2018 in seinem Bericht über die Ziele für die nachhaltige Entwicklung erklärt, dass «wir die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung nicht mit dem notwendigen Vertrauen voranbringen [können], wenn wir nicht jeweils unsere aktuelle Situation genau kennen.» Statistische oder wissenschaftliche Daten sind für die Staaten essenziell, damit sie stets über den Stand ihrer Umsetzung der Agenda 2030 im Bilde sind. Dank der Daten können sie auch die richtigen Entscheidungen treffen, die für die Weiterführung des Umsetzungsprozesses nötig sind. Diese Entscheidungen basieren damit auf Fakten und tragen so auch zur demokatischen Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele bei.
Die UNO-Mitgliedstaaten berichten regelmässig am Hochrangigen politischen Forum für nachhaltige Entwicklung über den Stand der Umsetzung der Agenda 2030. Auch diese Berichte müssen sich auf allgemein zugängliche, aktuelle und vertrauenswürdige Daten und Statistiken stützen können, damit sie in der angemessenen Objektivität verfasst werden. Dann ist auch sichergestellt, dass die Berichte so gut wie möglich vergleichbar sind.
UNO bemängelt weltweite Datenlage
- In 75% der Länder der Welt gibt es weder eine Statistikpolitik noch eine ausreichende Datenbasis.
- Nur etwas mehr als die Hälfte aller Staaten ist in der Lage, elementare Angaben zu machen, wie beispielsweise zu Geburten oder Todesfällen.
- Bei spezifischeren Daten ist die Lage noch bedenklicher. Vor diesem Hintergrund werden gefährdete Bevölkerungsgruppen in den Durchschnittswerten kaum berücksichtigt.
- Für rund zwei Drittel der 232 Indikatoren für die Ziele der Agenda 2030 gibt es keine Daten, und für 88 Indikatoren wurde noch keine Erhebungsmethode vereinbart.
Links
- Medienmitteilung: Agenda 2030 - Weltdatenforum: Intensive internationale Zusammenarbeit für qualitativ hochstehende Daten
- Artikel – DEZA-Expertennetz für nachhaltige Entwicklung
- Eine Welt 3/2020
- Website – Road to Bern
- Website – Rendez-vous Bundesplatz
- Website – Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung